Der Wanderchirurg
angezettelt werden. Ich hatte also ein recht beschauliches Dasein. Bis eines Tages ein Mann in unsere Stadt kam, der mein ganzes Leben verändern sollte. Sein Name war Conradus Magnus. Er war das, was man einen Alchemisten nennt. Ich begegnete ihm das erste Mal am Strand in der Nähe des Torre de Hercules, des alten Leuchtturms aus der Römerzeit. Es war kurz vor Sonnenuntergang. Er blickte sinnend aufs Meer, während er eine Hand voll Sandkörner durch seine Finger rinnen ließ. »Es ist ein seltsam Ding«, sagte er zu mir, als ich neben ihn trat, »nehmt diesen Sand, nehmt das Meer, nehmt die Luft, nehmt das Feuer - jedes dieser vier Elemente ist nur eine vorübergehende Zustandsform, mehr nicht.«
»Zustandsform? Von was?«, fragte ich erstaunt.
»Von der allem zugrunde liegenden Materie«, antwortete er, »sie ist das zustandslose Nichts, das wir
»Prima materia« nennen, und dieses Nichts kann sich wandeln, mal in dieses, mal in jenes Elemente »Das hört sich ziemlich philosophisch an«, sagte ich skeptisch. »Das ist es in der Tat«, erwiderte er ernst, mach der griechischen Naturphilosophie kann die Umwandlung nur mit Gottes Hilfe durchgeführt werden, sie ist also eine himmlisch beeinflusste Geburt auf chemischer Ebene, wenn Ihr so wollt. Da wir die Umwandlung des Nichts gedanklich mit einer stofflichen Stufenleiter der Vollkommenheit verbinden, steht am Ende dieser Leiter der wertvollste Stoff überhaupt: das Gold.«
»Wenn ich Euch richtig verstehe» sagte ich nach einer Weile, denn ich brauchte etwas Zeit, um seine Gedanken nachzuvollziehen, »ist das Meer hier vor uns also potenziell Gold?«
»Wie der Sand, die Luft, das Feuer oder jede Mischform der vier Elemente«, antwortete Conradus Magnus.
»Das fällt mir schwer zu glauben«, sagte ich nachdenklich, »wo in aller Welt hält sich in einem Tropfen Wasser ein Körnchen Gold versteckt? «
»Das Geheimnis ist der Same, der einem dieser Stoffe entzogen werden muss, um ihn in einem anderen Stoff keimen zu lassen, denn nur so entsteht in der Theorie Gold.«
»Und warum setzt Ihr Euer theoretisches Wissen nicht in die Praxis um?«, wollte ich wissen, denn als Jurist hatte ich gelernt, Angaben auf ihren praktischen Wert zu überprüfen.
»Darum bemühen sich die Alchemisten schon seit Jahrhunderten« lächelte er und hob erneut eine Hand voll Sand auf, »denn was bis zum heutigen Tage nicht gefunden wurde, ist das Mittel, um diesen Prozess in Gang zu setzen. Wir nennen es den Stein der Weisen. «
»Wenn ich's recht sehe«, erwiderte ich und bückte mich ebenfalls nach einer Hand voll Sand, »steckt auch in diesen Körnchen der Same für Gold, welches ihr lediglich mit dem Stein der Weisen ans Tageslicht bringen müsstet - vorausgesetzt, Ihr hättet den Stein.«
»Im Prinzip ja.«
»Heißt das nicht Gott versuchen?«
»Im Prinzip nein, denn wenn Gott wollte, wäre es ihm ein Leichtes, aus Sand Gold zu machen - und es einem Auserwählten zu zeigen.«
»Aha«, sagte ich, »Ihr tut also nichts weiter, als Gott ein wenig über die Schulter zu blicken, um herauszufinden, wie er's macht. Tretet Ihr ihm da nicht doch ein wenig zu nahe?« Als ich dies sagte, erschien ein leichtes Misstrauen in seinen Augen.
»Man sagt, wir Alchemisten stünden immer mit einem Bein auf dem Scheiterhaufen« antwortete er, »weil viele Menschen unsere wissenschaftlichen Untersuchungen als Scharlatanerie abtun. Aber Naturforschung kann nicht darauf Rücksicht nehmen, dass ihr Weg vielleicht zu einer Erkenntnis führt, die mit dem Göttlichen nicht im Einklang steht. Wer solche Konsequenz fürchtet, wird die Wissenschaften nicht weiterbringen»
»Ich verstehe die Problematik» sagte ich, » nichts für ungut, es ist nur alles neu für mich. Erzählt bitte weiter ...« Tja«, der Magister gähnte und rieb sich die Augen, »so fing unsere Freundschaft an.«
»Und du hörst jetzt mit deiner Geschichte auf«, sagte Vitus, »nimm noch einen Becher von dem Weidenrindensud.« Doch es stellte sich heraus, dass der Magister schon eingeschlafen war.
Er wachte erst am anderen Morgen auf, verkündete aber sogleich, er müsse weitererzählen. Vitus erlaubte es ihm, nachdem er ihn eingehend untersucht und zu seiner Freude festgestellt hatte, dass sein Patient weiter auf dem Wege der Besserung war.
»Es dauerte nicht lange«, setzte der Magister seine Geschichte fort, »da verbrachten Conradus Magnus und ich fast jeden Abend miteinander. Wir diskutierten stundenlang über Gott und die
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