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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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Erst draußen auf dem Gang begann der Magister sich zu wehren: Er zappelte mit Armen und Beinen und sah aus wie ein Insekt, das man am Hinterleib packt. Und genauso vergebens war auch sein Widerstand.
    »Halt!«, rief Vitus. »Halt!«
    »Mach dir keine Sorgen!«, schrie der kleine Mann wild zurück. »Unkraut vergeht nicht!« Krachend schloss sich die Kerkertür.
    Wem der Prozess gemacht wurde, der musste mit allem rechnen. Das geringere Übel dabei war noch die Befragung, die Interrogatio: häufig eine stundenlange Konfrontation mit immer neuen Spitzfindigkeiten, bösartigen Behauptungen und geschickt herbeigeführten Missverständnissen. Im Glücksfall gab sich der Inquisitor zufrieden, wenn dem Angeklagten tatsächlich nichts nachzuweisen war. Doch der Befragte konnte trotzdem bestraft werden, wenn auch in der Regel milder, zum Beispiel, indem man ihm, seiner Familie oder seinen Verwandten für alle Zukunft die Ausübung eines öffentlichen Amts verbot. Wer jedoch der Ketzerei überführt war, tat besser daran, seine »Schuld« einzugestehen und abzuschwören - geschah dies, konnte er dennoch nicht sicher sein, ungeschoren davonzukommen. Denn war die Kirche der Meinung, Haus und Grund des Angeklagten seien lohnend, verurteilte sie ihn zum Tod oder zu lebenslanger Haft, um sich anschließend seines Besitzes zu bemächtigen. Ausnahmen gab es natürlich auch hier. Gehörte das Opfer einer vermögenden Familie an, war es häufig einträglicher, es gegen ein hohes Lösegeld freizusetzen. Man konnte den Sünder ja später aufs Neue verhaften - und abermals freikaufen lassen.
    Das Schlimmste jedoch, was einem Angeklagten widerfahren konnte, war die Folter. Sie kam immer dann zum Einsatz, wenn das Geständnis hartnäckig verweigert wurde. Wobei dem Eingestehen der Schuld deshalb so große Bedeutung beikam, weil es die Grundlage für jede Verurteilung war. Das Geständnis war der Beweis. Fehlte es, gab es keinen eindeutigen Straftatbestand.
    Ganze Verhöre waren deshalb von der Kirche auf penibelste Weise mitgeschrieben worden; sie sollten als Leitfaden für spätere Verhandlungen dienen. Alles, um das eine, das große Ziel zu erreichen: das unter Qualen herausgeschriene Geständnis »Ja, ich bin ein Ketzer! Ja, ich habe gesündigt! Ja, ich bin mit Satan im Bunde!«
    Was würden die Folterer dem Magister antun?
    Die Stunden zogen sich endlos dahin. Schließlich, niemand vermochte mehr zu sagen, wie lange sie gewartet hatten, sprang die Kerkertür plötzlich auf. Ein schmächtiger Körper taumelte ihnen entgegen und brach vor ihnen zusammen. Es war der kleine Gelehrte. Er zitterte am ganzen Leib. »Der Magister!«, kreischte Amandus. Die Kerkertür wurde zugeschlagen.
    »Ruhig Blut!« Vitus reagierte sofort. Er winkte David und Habakuk heran: »Dreht ihn auf den Rücken, und zieht ihn zu mir her, damit ich an ihn herankomme.«
    Als sie in das Gesicht des kleinen Mannes blickten, verschlug es ihnen den Atem: von der Nasenwurzel bis zum Haaransatz zog sich eine fünf Zoll lange Wunde - verbranntes Fleisch in Form eines Kreuzes.
    Vitus nahm das Handgelenk des Gefolterten und prüfte den Puls. Er war hart und unregelmäßig. Kein gutes Zeichen. Als Nächstes betrachtete er die Verletzungen.
    »Die Wunde auf der Stirn ist sehr tief«, stellte er fest,
    »teilweise ist sogar das Stirnbein zu sehen. Die Schmerzen müssen furchtbar sein. Warum nur haben sie ausgerechnet die Stirn für ihre Folterung gewählt?«
    »Weil ich sie ihnen geboten habe«, flüsterte der Magister. Er grinste schief. Doch keinem war nach Lachen zu Mute.
    »Ab jetzt hast du Sprechverbot«, entschied Vitus.
    »Sprechen lenkt aber von den Schmerzen ab.«
    »Bist du ein Medicus oder so etwas?«, schaltete sich David ein, der paradoxerweise der größte der Juden war.
    »Medicus wäre zu viel gesagt. Aber ich weiß, wie der Magister behandelt werden muss.«
    »Was würdest du denn benötigen?«, fragte Habakuk. Vitus überlegte: »Ich brauche Scharpie, Heilpflanzen, fiebersenkende Mittel, Verbandstoff, frisches Wasser, eine Kochstelle, Feuerholz und vieles mehr. Warum willst du das überhaupt wissen?«
    »Und wie viel würde das alles zusammen kosten?«
    »Keine Ahnung. Ist doch einerlei, wir kriegen's ja ohnehin nicht.«
    »Vielleicht doch.« Habakuk tauschte einen schnellen Blick mit David. Der senkte zustimmend die Lider. Dann wandten sich beide an Solomon. Hastig redeten die drei miteinander. Kurz darauf waren sie sich einig.
    »Entschuldigt uns einen

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