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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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Welt, während Conradus unermüdlich hinter seinen Tiegeln, Kolben und gläsernen Gefäßen experimentierte.
    Er war ein angenehmer Mann von geschliffener Höflichkeit und universellem Wissen, dabei scheu und von so sanftem Wesen, dass er keiner Fliege etwas zu Leide tun konnte. Doch nach einiger Zeit begannen die Leute über ihn zu reden. Erst tuschelten sie hinter seinem Rücken, dann zerrissen sie sich das Maul. Conradus wurde zur Zielscheibe sämtlicher böser Verdächtigungen, zu denen Menschen fähig sind: Hexer, Kinderfresser, Vampir, Ketzer und Ähnliches waren noch die mildesten Beschuldigungen. Und alles nur, weil er Dinge tat, die für sie unbegreiflich waren. Zum Verhängnis wurde ihm wahrscheinlich, dass er sich eines Tages vor dem Rathaus mit den Leuten auf ein Streitgespräch über die Form unseres Planeten einließ. Heute, im Rückblick auf die Geschehnisse, bin ich sicher, dass Conradus provoziert wurde, aber damals konnten das weder er noch ich ahnen. Immer wieder betonte Conradus in seiner ruhigen Art, dass nach den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht die Sonne um die Erde kreise, sondern die Erde nur ein Planet von vielen sei, die um die Sonne kreisten. In den Augen der Menge war das Gotteslästerung. Die Leute lachten ihn aus und schrien ihn nieder. Natürlich ergriff ich Partei für ihn. Schießlich hatte er nichts anderes verkündet als das, was auch für mich schon seit Jahren feststand.
    »Hört, Leute!«, rief ich ihnen zu, »als Einwohner unserer schönen Stadt werdet ihr genau wie ich den Torre de Hercules häufiger weit draußen vom Meer aus gesehen haben, stimmt's? «
    »Na und«, antworteten sie, »was heißt das schon?«
    »Dann werdet ihr sicher auch beobachtet haben, dass bei klarer Sicht aus großer Entfernung nur die Spitze des Turms zu erkennen ist, nicht aber der untere Teil!«
    »Na und«, riefen sie wieder, »was heißt das schon?«
    »Begreift ihr denn nicht?«, schrie ich, »es bedeutet nichts anderes, als dass die Erde tatsächlich eine Kugel ist!« Als Antwort lachten die Leute mich aus. Da fiel mein Blick auf ein kleines Mädchen, das mit einer Kugel aus Holz spielte. Ich nahm die Kugel und hielt sie mit der linken Hand in die Höhe. »Seht her, was ich meine!«, rief ich. Dann schob ich meinen rechten Zeigefinger hinter der Kugel nach oben. »Aus dieser Perspektive lässt sich nur die Spitze meines Fingers erkennen, nicht aber der Rest!
    Der Grund ist einfach: Die Kugelform verdeckt den unteren Teil meines Fingers! Würde ich statt der Kugel eine Scheibe davorhalten, könnte ihn jeder von oben bis unten sehen.«
    Ich blickte triumphierend in die Runde. »Genauso ist es mit dem Torre de Hercules. Wer draußen auf See ist, kann nur den oberen Teil des Turms erkennen, weil die Erde eine Kugel ist!«
    Spätestens jetzt hatte ich uneingeschränkte Zustimmung erwartet, stattdessen schlug mir eisiges Schweigen entgegen. Nach einigen Augenblicken ereiferte sich ein dürrer Alter: »Du bist genau wie jener«, giftete er, wobei sein gichtiger Zeigefinger in Richtung Conradus fuchtelte, »versuchst uns mit deinem wissenschaftlichen Gewäsch einzulullen und vergleichst die Schöpfung des allmächtigen Gottes mit einer Holzkugel! Ketzer seid ihr, einer wie der andere!« - Heute bin ich sicher, dass einer aus diesem Pöbel meinen Freund bei der Inquisition denunzierte, denn schon einen Tag später wurde er verhaftet. Weil Conradus Magnus jedoch einen hervorragenden Ruf in der Gelehrtenwelt genoss, hielt man ihn tagsüber noch in seinem Haus gefangen; erst in der Nacht traute man sich, ihn abzuholen. Kurz bevor er fortgeführt wurde, hatte ich noch einmal Gelegenheit, ihn zu sehen. »Ramiro«, sagte er in seiner ruhigen Art zu mir, »was jetzt auf mich zukommt, habe ich lange vorhergesehen, deshalb trifft es mich nicht unvorbereitet. Ich gehe den Weg, der mir bestimmt ist. Aber du musst auf dich achten. Sieh zu, dass du La Coruna noch heute verlässt!« Wie Recht er hatte! Nur wenige Stunden später standen die Häscher auch vor meinem Haus. Durch die Tür fragte ich, wessen man mich beschuldigte. Die Antwort lautete: Ketzerei! Und das nur, weil ich einer Menge von Ignoranten die Erdkrümmung erklären wollte! Nun«, der Magister grinste nicht ohne Selbstzufriedenheit, »während sie vorne noch gegen meine Haustür traten, verschwand ich schnell durch den Hintereingang. Wollte nach San Sebastian, wo ein Vetter von mir eine Weinhandlung hat ...«
    Er verschnaufte und zuckte mit den

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