Der Wanderchirurg
unzählige Eide fordern. Außerdem werden Eure Eide, wenn ich, wie ich glaube, Beweise wider Euch besitze, Euch nicht vor dem Feuertode bewahren. Ihr werdet nur Euer Gewissen beflecken, ohne dem Tode entgehen zu können.
Wenn Ihr dagegen einfach Euren Irrtum bekennt, könnt Ihr Gnade finden!“ Ich habe Menschen gesehen, die, solcher Art befragt, Geständnisse ablegten!
Hochwürden Ignacio blickte auf und erhob sehr förmlich seine Stimme: »Vitus »Ohnenachnamen«, Ihr seid angeklagt, ein Ketzer zu sein und anders zu glauben und zu lehren als die heilige Kirche.«
»Ich? Ein Ketzer? Das glaubt Ihr doch wohl selbst nicht!« Der Angeklagte versucht es also auf die rhetorische Art, dachte Ignacio. Nun gut, soll er! Der Inquisitor schaute wieder in seine Practica und fuhr unbeirrt fort: »Ihr nennt Euren Glauben christlich, weil Ihr unseren für falsch und ketzerisch anseht, aber ich frage Euch, ob Ihr jemals einen anderen Glauben für ebenso wahr gehalten habt als den, welchen die Römische Kirche für wahr hält.«
»Wie bitte?« Vitus brauchte eine Weile, um die Ungeheuerlichkeit der Worte zu begreifen. »Ich soll meinen Glauben für christlich und Euren für ketzerisch halten? Wie kommt Ihr überhaupt auf diesen Gedanken?«
»Ich bin es, der die Fragen stellt. Antwortet.«
Vitus merkte, wie Zorn in ihm aufwallte. Was sollte dieser Unsinn? Wollte man ihn mit solchen absurden Anschuldigungen verunsichern? Er zwang sich, ruhig zu bleiben und konzentriert zu antworten. »Ich halte meinen Glauben in der Tat für christlich«, sagte er beherrscht, »und ich bin sicher, dass der Eure, wenn er dem meinen entspricht, ebenso unantastbar christlich ist.«
»Das habt Ihr hübsch gesagt.« Ignacio war nicht unbeeindruckt. Der Bursche verstand sich auszudrücken. Aber schon mit der nächsten Frage würde er ihm ins Netz gehen: »Vielleicht leben einige von Eurer Sekte in Rom, diese nennt Ihr die Römische Kirche. Wenn ich predige, so rede ich von vielen Dingen, von denen einige uns beiden gemeinsam sind, zum Beispiel, dass es einen Gott gibt, und Ihr glaubt etwas von dem, was ich predige. Nichtsdestoweniger könnt Ihr ein Ketzer sein, weil Ihr andere Dinge glaubt als die, welche geglaubt werden müssen.«
Vitus merkte erst jetzt, dass der Inquisitor seine Fragen ablas. Er musste an die Worte des Magisters denken, der ihm von komplett vorformulierten Verhören berichtet hatte. »Könnt Ihr Eure Frage bitte wiederholen?«, sagte er höflich.
»Natürlich.« Ignacio beugte den Kopf in seine Unterlagen und las erneut: »Vielleicht leben einige von Eurer Sekte in Rom. Diese nennt Ihr ...«
»Danke«, unterbrach Vitus, »darauf will ich Euch gern eine Antwort geben. Einige dieser »Sekte« leben tatsächlich in Rom. Andere leben in Frankreich, England, Irland, Schottland, in den skandinavischen Ländern, in Deutschland, in den slawischen Gebieten Osteuropas und in der Schweiz.«
»Und wie heißt diese Sekte, von der Ihr sprecht?«
Ignacio, der eben eine weitere Nuss nehmen wollte, hielt freudig in der Bewegung inne.
»Es sind die Zisterzienser.«
»Die Zisterzi...!« Ignacio schnappte nach Luft. Die Zisterzienser waren selbstverständlich keine Sekte, sondern ein ebenso über jeden Zweifel erhabener Orden wie die Dominikaner. Es dämmerte ihm, dass dieser Jüngling ihn auf den Arm genommen hatte. Schlimmer noch, wenn der Bursche ein Zisterzienser war, konnte er, Ignacio, von seiner Practica keine große Hilfe mehr erwarten. Genau genommen waren seine Unterlagen nun Makulatur. Er fasste sich: »Ihr behauptet also, ein Zisterzienser zu sein?«
»Nein, das behaupte ich nicht. Ich habe Euch lediglich das Verbreitungsgebiet der Zisterzienser genannt. In ihrem Geiste wurde ich als Puer oblatus im Kloster Campodios erzogen, habe aber nie die Gelübde abgelegt. Stattdessen habe ich viele Jahre als medizinischer Assistent von Pater Thomas gearbeitet und dadurch einige Kenntnisse in der Cirurgia und der Kräuterheilkunde erworben.«
»Dann seid Ihr also der »Wunderheiler«, von dem man allenthalben spricht?«, fragte Ignacio süffisant.
»Wenn Ihr damit die Heilung des Mannes meint, der sich Magister nennt, kann ich Euch sagen, dass er um ein Haar nicht überlebt hätte. Aber mit Gottes Hilfe wurde er gesund. Mein Beitrag dazu war bescheiden genug.« Vitus schaute seinem Gegenüber direkt in die Augen. »Ihr meintet mit Eurer Bemerkung doch sicher die Heilung von seiner unmenschlichen Folterverletzung?«
»Die alchemistischen
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