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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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anno domini 1576.« Er wartete eine Weile, während die Feder des Protokollführers über das Papier kratzte.
    »Habt Ihr das?«
    »Jawohl, Hochwürden.«
    Ignacio blickte in die Runde. »Die Verhandlung ist eröffnet.« Er sah auf den Tisch, wo die Papiere sich türmten. Ganz obenauf hatte er sich den Leitfaden für eine effiziente Interrogatio zurechtgelegt; sie stammte aus dem Band Practica, des Bernhard Guidonis. »Doch zunächst möchte ich einige Punkte für den Angeklagten klarstellen: Ihr seid nicht hier, um in jedem Fall verurteilt zu werden. Wenn Ihr die Wahrheit sagt und bereit seid, zum rechten Glauben zurückzufinden, braucht Ihr um Euer Leben nicht zu fürchten. Und solltet Ihr vom Satan besessen sein, wird alles getan werden, um ihn mit Gottes Hilfe aus Eurer Seele zu treiben.«
    »Ich fürchte mich nicht«, antwortete Vitus fest. Er blickte die Männer vor sich an. »Wie kommt Ihr darauf, ich könnte vom Satan besessen sein?«
    »Ein weiterer Punkt ist, dass nicht Ihr die Fragen stellt, sondern das Gericht. Ihr habt zu antworten.« Ignacio spürte Unmut. Der Angeklagte schien eines dieser neunmalklugen Bäuerlein zu sein, die sich listig und wortreich zu verteidigen wussten. Nun, da kam sein Leitfaden aus der Pructica gerade recht. Genau für Ketzer dieses Schlages war er geschrieben worden. Ignacio lehnte sich vor, um sich nochmals eine Nuss zu gönnen. Sie waren heute besonders lecker, wie er fand.
    Sein Ellenbogen streifte einen Stoß Papiere auf dem Tisch. Er fiel zu Boden. Ignacio sah, wie der Alcalde grinste, er dachte einen sehr unpriesterlichen Gedanken und war froh, ihn nicht ausgesprochen zu haben.
    »Nunu, komm her, sammle diese Papiere auf.«
    Nunu hinkte herbei und tat wie befohlen. Er hatte Mühe, die einzelnen Blätter mit seinen dicken Fingern zu greifen.
    »Macht schon!«
    »Nu, nu, Hochwürden, 's geht halt nich schneller.« Der Koloss legte als Letztes den Band der Practica, der ebenfalls herabgefallen war, zurück.
    »Danke.« Ignacio schlug erneut die Abhandlung auf, in der ein erfahrener Inquisitor den typischen Ablauf für eine erfolgreiche Befragung festgehalten hatte. Der Text las sich wie folgt:

    Ich: Ihr seid angeklagt, ein Ketzer zu sein und anders zu glauben und zu lehren als die heilige Kirche. Angeklagter: ( Indem er seine Augen gen Himmel erhebt und eine Miene gläubiger Frömmigkeit annimmt) O
    Gott Du weißt, dass ich dessen unschuldig bin, und dass ich niemals irgendeinen Glauben bekannt habe als den des wahren Christentums.
    Ich: Ihr nennt euren Glauben christlich, weil Ihr unseren für falsch und ketzerisch anseht; aber ich sage euch, ob ihr jemals einen anderen Glauben für ebenso wahr gehalten habt als den, welchen die Römische Kirche für wahr hält.
    A.: Ich glaube den wahren Glauben, den die Römische Kirche glaubt und den Ihr uns öffentlich lehrt.
    Ich: Vielleicht leben einige von eurer Sekte in Rom. Diese nennt Ihr die Römische Kirche. Wenn ich predige, so rede ich von vielen Dingen, von denen einige uns beiden gemeinsam sind, zum Beispiel, dass es einen Gott gibt, und Ihr glaubt etwas von dem, was ich predige. Nichtsdestoweniger könnt Ihr ein Ketzer sein, weil Ihr andere Dinge glaubt als die, welche geglaubt werden müssen.
    A.: Ich glaube alles was ein Christ glauben muss. Ich: Ich kenne eure Schliche. Was die Mitglieder Eurer Sekte glauben, das haltet Ihr für das, was ein Christ glauben muss. Aber wir verlieren Zeit bei diesem Wortstreite. Sagt einfach: Glaubt Ihr an den Einen Gott, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist?
    A.: Ich glaube es.
    Ich: Glaubt Ihr an Jesu Christum, geboren aus der Jungfrau, der gelitten hat und auferstanden ist gegen Himmel?
    A.: (freudig und schnell) Ich glaube.
    Ich: Glaubt Ihr, dass bei der von dem Priester zelebrierten Messe das Brot und der Wein durch göttliche Kraft in den Leib und das Blut Christi verwandelt werden? A.: Sollte ich das nicht glauben?
    Ich: Ich frage nicht, ob Ihr das nicht glauben sollt, sondern ob Ihr es glaubt…

    Und so ging es immer weiter. Ignacio schenkte sich den mittleren Teil des Elaborats und überflog noch einmal den Schluss:

    …Wenn jemand darin einwilligt zu schwören, dass er kein Ketzer ist, so sage ich zu ihm:“ Wenn Ihr nur schwören wollt, um den Scheiterhaufen zu entgehen, so wird weder ein Eid noch zehn noch hundert noch tausend genügen, weil Ihr Euch gegenseitig von einer gewissen Zahl von Eiden, die Ihr in der Zwangslage geleistet habt, dispensiert; ich werde daher

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