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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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Ansichten, die dieser Mann vertritt, stempeln ihn zum Ketzer. Teuflische Gedanken steckten hinter seiner Stirn, wir mussten sie deshalb mit Kreuz und Feuer läutern.«
    Ignacio wollte sich nicht weiter zu dem Fall äußern. Der Gedanke an die Folterung des Mannes war ihm ohnehin nicht angenehm. Da hatte er seinerzeit nicht genügend Weitsicht bewiesen; er war an jenem Nachmittag anderweitig aufgehalten worden, und Pater Alegrio hatte die Tortur wie üblich durchführen lassen. Ein Fehler, denn der Gefolterte war ein enger Vertrauter von Conradus Magnus gewesen, welcher vor nicht allzu langer Zeit als Ketzer hatte verbrannt werden müssen. Ein Vorfall, tragisch zwar, aber gottgewollt. Fatal nur, dass Conradus Magnus zum Dominikanerorden gehört hatte und somit als ein schwarzes Schaf in der Herde des Ordens bekannt geworden war. Ein Politikum fürwahr, auch innerhalb der gesamten Katholischen Kirche ... Ignacio nahm sich vor, dafür zu sorgen, dass der widerspenstige Rechtsgelehrte Garcia so bald wie möglich entlassen wurde. Und der seltsame Spucker Martinez gleich mit.
    »Warum habt Ihr die Gelübde nicht abgelegt, Angeklagter?«, fragte der Alcalde. Der Dialog zwischen dem Inquisitor und dem jungen Burschen begann ihn zu interessieren. Dies versprach ein anderes Verhör zu werden als das, was er normalerweise bei einer Interrogatio erlebte.
    »Ich will herausfinden, woher ich stamme und wer meine Eltern sind«, entgegnete Vitus.
    »War es nicht vielmehr so, dass Ihr an der christlichen Lehre, wie sie die Römische Kirche vorschreibt, gezweifelt habt?«, ergriff Ignacio wieder das Wort. Es passte ihm nicht, dass Don Jaime sich eingemischt hatte. Es genügte schon, dass ein Vertreter der weltlichen Macht als Beisitzer unvermeidlich war. Auf dessen Fragen aber konnte er gut verzichten.
    »Ich will herausfinden, woher ich stamme und wer meine Eltern sind«, wiederholte Vitus.
    »Ihr habt also gezweifelt!«, stellte Ignacio triumphierend fest.
    »Ja! Wenn ich mich jedoch recht erinnere, werft Ihr mir vor, ein Ketzer zu sein. Aber nicht jeder, der zweifelt, ist ein Ketzer. Ich nehme an, dass auch Ihr auf dem langen Weg zu Gott irgendwann einmal von Zweifeln geplagt wart. Würdet Ihr Euch deshalb als Ketzer bezeichnen? Wohl kaum.«
    »Die Fragen stelle ich!« In der Stimme des Inquisitors schwang Ärger mit.
    »Das hatten wir schon.«
    »Werdet nicht unverschämt!«
    »Da, wo ich herkomme, herrscht ein anderer Ton. Ich bin es nicht gewohnt, dass man so mit mir redet.«
    »Was Ihr nicht sagt.« Ignacio kam ein Gedanke.
    »Woher soll ich überhaupt wissen, dass Eure Behauptung, Ihr kämt von Campodios, stimmt? Könnt Ihr das beweisen?«
    »Fragt im Kloster nach. Alle dort kennen Vitus. Jeder kann bezeugen, dass ich Vitus bin.«
    »Ihr macht einen Fehler, wenn Ihr glaubt, dass die Inquisition irgendetwas tun müsste, um Euch zu entlasten.«
    »Wie soll ich etwas beweisen, wenn man mich eingekerkert hält?«
    »Die Fragen stelle ich!«
    »Allmächtiger Gott im Himmel«, stöhnte Vitus. »Seid Ihr sicher, dass Ihr in diesem Augenblick denselben Gott anruft, den auch die Römische Kirche als den ihren preist?«, fragte Ignacio vieldeutig. Der Gefangene hatte soeben Nerven gezeigt. Das musste ausgenutzt werden.
    »Ich kann nur sagen, dass ich ein gläubiger Mensch bin. Das allein dürfte wohl nicht für einen Schuldspruch ausreichen.« Vitus hatte sich wieder in der Gewalt. »Gibt es sonst etwas, das man mir vorwirft?«
    »Sektierertum.«
    »Ihr wiederholt Euch. Wenn Ihr Eure Anschuldigungen nicht konkretisieren könnt, verlange ich, sofort freigelassen zu werden.« »Und ob ich das kann!« Ignacio nahm fahrig eine Nuss und steckte sie sich in den Mund. Er spürte den Geschmack kaum. Nicht nur, dass der Bursche seine Selbstsicherheit wieder gefunden hatte, jetzt wollte er auch noch auf freien Fuß gesetzt werden! Überhaupt war die Verhandlung bisher ganz anders verlaufen, als er es geplant hatte. Er dachte daran, welch große Leistungen die Kirche in ihrem Bemühen um die Ausmerzung der Ketzerei vollbracht hatte, besonders in der Person von Thomas Torquemada, dem Dominikanerprior von Santa Cruz in Segovia. Torquemada war so beseelt von seinem Kampf gegen die Häresie gewesen, dass er anno 1484 vierzig Leichen von Ketzern ausgraben ließ, mit den Worten: »... da wir wissen, dass die Genannten in geweihter Erde liegen, und da kein Ketzer, Apostat, Exkommunizierter ... dort liegen darf; da wir wissen, wie man sie fortschaffen

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