Der Wanderchirurg
Portion zu berücksichtigen.« Es war zwar nicht so, dass er keinen Hunger hatte, aber gegen ein Mittagessen an diesem Ort sprach zweierlei: erstens die Qualität des zu erwartenden Mahls und zweitens die Gesellschaft, in der er es zu sich nehmen musste. Da hungerte er lieber.
»Ja, Vater.« Die Ratte huschte davon.
Vitus nahm den Raum näher in Augenschein. Das Gelass wies in der Mitte und an den Wänden eine Reihe seltsamer Gegenstände auf: drohende, metallisch blinkende Apparaturen aus Schrauben, Stacheln, Schellen, Winden und anderen unerklärbaren Dingen. Rechts hinter dem Richtertisch führte eine Treppe nochmals hinab; sie endete vor einer Maueröffnung, die ihm schwarz entgegengähnte. Eine Gänsehaut lief ihm über den Rücken.
Hier ist das Essen.« Die Ratte schleppte einen Kessel herbei, in dem ein Eintopf träge schwappte. »Was gibt's?«, fragte Nunu.
»Suppe.«
Nunu steckte seine Nase in den Topf. »Hm, 's riecht gut, dürfen wir uns setzen, Vater? 's schmeckt nich im Stehen.«
»Meinetwegen.« Ignacio, da war Alegrio sicher, hätte das keinesfalls erlaubt. Dem wäre es egal gewesen, ob es einem Ketzer und zwei Folterern schmeckte oder nicht. Ärgerlich über sich selbst räumte er ein paar Papiere beiseite, um Platz zu machen. »Aber gnade euch Gott, wenn etwas auf meine Unterlagen spritzt.«
»Wir passen schon auf, Vater«, versicherte Nunu.
»Wir sehen uns vor«, bekräftigte die Ratte.
»Ich möchte nichts«, sagte Vitus. An Essen war für ihn nicht zu denken. Je weiter die Zeit fortschritt, desto mehr Kraft kostete es ihn, Ruhe zu bewahren.
»Selber Schuld«, zischte die Ratte und zog einen Löffel aus der Tasche. »Dann haben wir mehr. Ist besonders guter Eintopf. Sind dicke Saubohnen drin und große Brocken Ziegenfleisch.« Er setzte sich und begann die Suppe in sich hineinzuschlürfen. Nunu hatte sich ebenfalls niedergelassen und aß schmatzend.
Pater Alegrio blickte sie vorwurfsvoll an: »Ihr hättet wenigstens ein Tischgebet sprechen können.« Die beiden sahen auf. »'tschuldigung, Vater«, sagte Nunu.
»Wir wurden noch aufgehalten, deshalb ist es etwas später geworden!« Hochwürden Ignacio trat geschäftig an den Richtertisch und stellte als Erstes die obligaten Schälchen mit Nüssen und Puderzucker darauf ab. »Don Jaime, bitte nehmt zu meiner Rechten Platz. Pater Alegrio, Ihr zu meiner Linken.«
»Wir sollten es schnell hinter uns bringen«, brummte der Alcalde, sich ächzend niederlassend.
»Ihr sprecht mir aus der Seele«, antwortete Ignacio.
»Seid Ihr bereit, Pater Alegrio?«
»Seit geraumer Zeit«, erwiderte der Protokollführer. Er gab sich kaum Mühe, den spitzen Unterton in seiner Stimme zu verbergen.
»Gut denn! Ich stelle fest, dass das Gericht wieder vollzählig versammelt ist. Da die Verhandlung fortgesetzt wird, muss das Verfahren nicht neu eröffnet werden.«
Ignacio ließ seinen Blick in die Runde schweifen. Vor dem Richtertisch stand der Angeklagte, der wie immer einen sehr gefassten Eindruck machte. Doch halt! War da nicht ein Fünkchen Angst in seinen Augen? Wenn ja, war das zu begrüßen. Angst war ein guter Wahrheitsfinder. Neben dem Angeklagten standen Nunu und die Ratte. Sie wirkten schläfrig. Nun, er würde dafür sorgen, dass es hier bald lebendiger zuging. Ignacio erhob sich, um seinen Worten offizielleren Charakter zu verleihen: »Angeklagter Vitus
»Ohnenachnamen«, Ihr habt nun mehrere Stunden Zeit gehabt, Eure Situation noch einmal zu überdenken. Ich frage Euch deshalb: Gebt Ihr zu, mit dem Teufel oder seinen Dämonen im Bunde zu sein?«
»Was geschieht, wenn ich es zugebe?«
»Aha!« Angenehm überrascht sank Ignacio zurück auf seinen Stuhl. Er nahm eine Nuss, suckelte daran, tauchte sie in den Puderzucker, drehte sie sorgfältig, bis sie vollends eingestaubt war und schob sie sich in den Mund. Er mummelte zufrieden. Der Anblick der Folterkammer mit ihren martialischen Instrumenten tat offenbar schon seine Wirkung. Er überlegte rasch. »Nun, wenn Ihr es zugäbt und bei der Heiligen Mutter Gottes dem Teufel abschwört, kommt es zunächst darauf an, ob wir Euch Glauben schenken. Bei diesem Schwur ist wichtig, dass Ihr, Vitus, es wirklich seid, der ihn leistet. Schließlich könnte der Teufel noch immer durch Euren Mund sprechen, Um uns zu täuschen. Deshalb will wohl überlegt sein, welche Maßnahmen zu unternehmen sind, um Eure Seele zu retten.«
»Ich gebe nichts zu«, sagte Vitus.
»Wie bitte? Ihr habt doch gerade ...«,
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