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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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du müsstest nie wieder hinken, hättest nie wieder Schmerzen im Bein!«
    »Hm, tja. 's hört sich gut an.« Nunu legte ein paar weitere Gegenstände an ihren Platz zurück. »Komm hoch, Ketzerdokter.«
    Er führte Vitus aus der Folterkammer hinaus, vorbei an der granitenen Platte bis hin zur Treppe. Dann, beim Erklimmen der elf Stufen, trug er ihn halb und bog anschließend mit ihm in den letzten der einundzwanzig Schritt langen Gänge ab. Vitus spürte, wie das Gehen ihm mit jeder Minute leichter fiel. Abrupt blieb der Koloss stehen. »Hier isses.« Er wies auf die Tür, die Vitus schon vom Morgen her kannte, weil sie die einzige auf dem Gang war.
    »Wieso hier? Ich will in die alte Zelle, zu den anderen.«
    »Kommt nich in Frage. Ich sperr dich hier ein.« Nunu stieß
    die Tür auf, Vitus blickte in einen sauberen Raum, an dessen linker Wand ein großes Bett mit Strohsack stand. Sogar ein klappriger Tisch und ein Stuhl gehörten zum Inventar, »'s is meine Kammer, wenn's beim Foltern später wird. Will nich, dass die andern mich sehn, wenn du an mei'm Bein rumfummelst.«
    »Aber eine Feuerstelle, in der alten Zelle ...«
    »Nix da! Kannst hier 'n Kohlebecken kriegen, wie inner alten Zelle, 's Feuer is hier sogar viel näher.«
    »Welches Feuer?«
    »'s Feuer vonner Schmiede inner Folterkammer.«
    »Du meinst in der unteren Kammer?«
    »Ja, wo die Eiserne Jungfrau is.«
    »Die Eiserne Jungfrau, wer ist das?«
    »Frach nich so viel. Erfährst's vielleicht noch früh genug. Jetzt halt's Maul, un hau dich hin. Nachher hol ich dir was zu fressen.«
    »Bring Feder, Tinte und Papier mit, ich will die Arzneien aufschreiben, die ich für dein Bein brauche.«
    »Wenn's sein muss.«
    »Und wenn du an der Zelle vom Magister
    vorbeikommst, grüße ihn von mir und bestelle ihm: »Das Unkraut ist nicht vergangen! ««
    »Das Unkraut is nich ... was soll'n der Blödsinn?«
    »Sag's ihm einfach. Bitte.«
    »Das Unkraut is nich vergangen, das Unkraut is nich vergangen, das Unkraut is nich vergangen, so'n gottverdammter Blödsinn.« Kopfschüttelnd entfernte sich der Koloss. Vorsichtig legte Vitus sich mit dem Bauch aufs Stroh. Er war froh, ein Bett zu haben, denn trotz seiner Schmerzen merkte er, wie müde er war. Er verspürte ein tiefes Glücksgefühl, dass er der Folter entgangen war, auch wenn er die Zusammenhänge nicht ganz verstand. Unvermittelt schlief er ein.

    »He, Ketzerdokter, wach auf, 's is heller Tag!« Nunu rüttelte unsanft an Vitus' Schulter. »Schläfst seit gestern durch! Hab dir Essen gebracht, aber's haste gar nich gemerkt, da hab ich's wieder mitgenommen, selber Schuld.«
    Er hinkte zum Tisch. »Hier is das Schreibzeugs. Was is nu mit meinem Bein?«
    »Warte.« Vitus richtete sich mühsam auf. Brennende Schmerzen schössen ihm durch die Glieder. Die Daumennägel pochten dumpf. Wieder wedelte er mit den Händen. Beide Daumen wiesen jetzt auf ganzer Länge einen blauschwarzen Bluterguss auf. Das obere Glied war noch immer kaum zu bewegen. Das Schreiben würde ihm schwer fallen. »Ich brauche meine Kiepe.«
    »Was für'n Ding?
    Vitus seufzte, der Koloss war wirklich schwer von Begriff. »Du weißt doch, was eine Kiepe ist?«
    »'ne Kiepe? Ja doch.«
    »Gut.« Vitus hoffte, dass der tückische Zwerg ihm seine Habseligkeiten gelassen hatte. »Erinnerst du dich an den Tag, an dem man mich hierher brachte?«
    »Nu, nu, du hattest so'n Korb mit Riemen dran. Den hat die Ratte sich unter'n Nagel gerissen, ich guck mal.« Der Koloss hinkte zur Tür und drehte sich noch einmal um.
    »Der Magister spinnt langsam, hab ihm deinen Satz gesacht, un er hat auf einmal ganz feuchte Augen gekriegt und gefaselt, wie gern er Unkraut hat. Naja, 's war sowieso 's letzte Mal, dass ich was ausgerichtet hab.«
    Kurz darauf war er zurück und hielt tatsächlich die Kiepe in der Hand. »Is sie das?«
    »Großartig! Das ist sie.« Rasch durchwühlte Vitus seine Sachen und stellte fest, dass nichts fehlte.
    »Wie willst'n du mit den ollen Klamotten mein Bein heil kriegen?«, fragte Nunu misstrauisch.
    »Das wirst du schon sehen.« Vitus überlegte. Nunu wirksam zu kurieren würde eine Zeit lang dauern. Er musste sich einen genauen Vorgehensplan zurechtlegen und eine Liste der Medikamente aufstellen. Dazu würde er in Ruhe das Werk De morbis durchlesen und sich bei den alten Meistern Rat holen müssen. »Lass mich jetzt allein«, bat er, »ich habe versprochen, dir zu helfen, und das werde ich auch.«
    »Meinetwegen.«
    »Komm heute Abend

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