Der Wanderchirurg
eingefallen war, fuchtelte er mit seinem Zeigefinger vor Ignacios Gesicht. »Das allerdings ist richtig, Alcalde. Dennoch solltet Ihr bestrebt sein, die Folter fortsetzen zu lassen, damit dieser Ketzer als Dämon entlarvt wird.« Ignatio blickte viel sagend in die Runde. »Möglicherweise als ein sehr begüterter Dämon.« Äußerlich gefasst trat er zurück an den Tisch und bediente sich mechanisch aus dem Nussschälchen. »Nunu! Wenn wir gegangen sind, räumst du auf und löst die Daumenschrauben. Der Gefangene ist wieder zu inhaftieren, bis äh ... bis das Gericht erneut zusammentritt.«
»Jawohl, Hochwürden.«
Hoch erhobenen Hauptes verließ der Inquisitor den Raum. Hinter ihm ging der Alcalde, gefolgt von Pater Alegrio und dem Schweizergardisten.
»Nu sin wir unter uns«, sagte Nunu nach einer Weile. Vitus' Atem ging rasselnd. Er hatte die Vorgänge kaum wahrgenommen .
»Ich soll dich losmachen, hamse gesacht. Aber vielleicht kannste ja noch'n bisschen lauter quieken, wolln doch mal sehn.« Er fingerte an den Daumenschrauben.
»Aaaaaa ... aaa ...ahhh!«
»Nu, nu«, freute sich Nunu, »schrei nur, Ketzerdokter, wir sin ganz unter uns.« Er hinkte zur Seite und begann auf dem Richtertisch Ordnung zu schaffen. Dann hinkte er zum Streckbett, um das Brandeisen wieder an seinen Platz zu legen. Nachdem das erledigt war, hinkte er zurück, hinkte hierhin, hinkte dorthin ... Vitus nahm es, halb ohnmächtig, wahr. Das Hinken, immer das Hinken ... Es hatte doch eine Ursache ... Durch die Nebel seiner Schmerzen kam ihm plötzlich die Eingebung: »Warum zerstörst du meine Hände?« Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Sie können dein Hinken heilen.«
»Was sachste, Ketzerdokter?«
»Meine Hände ... sie können dein Hinken heilen.«
Nunu blieb vor Vitus stehen und stemmte die Arme in die Hüften: »Mein Hinken, sachst du? Nu, nu, da kann man nix mehr dran machen!«
»Doch.«
»Erzähl nix.«
»Ich schaff s. Genauso, wie ich den Magister geheilt habe!«
»Hm. Un dann muss ich nich mehr hinken?«
»Ich schwöre es bei der Heiligen Jungfrau, nur mach mich endlich los.«
»Wenn du's nich schaffst, zieh ich noch fester!«
»Ich schaff s bestimmt, glaub mir doch, bitte!«
Nunu begann, die Flügelschrauben zu lösen. »Aber wehe, du nimmst mich auf'n Arm.«
»Bestimmt nicht. Ohhh ist das gut!« Eine unsägliche Erleichterung durchströmte ihn, während der Schmerz ihn verließ. Nunu nahm die obere Platte der Daumenschrauben ab und legte sie fort. Dann löste er die Riemen an den Armlehnen. »Nu kannste aufstehen. Hast Glück gehabt, Ketzerdokter, dass Hochwürden was dazwischengekommen is, sonst würdste jetz deine Knochen einzeln sortieren.« Er nickte ernsthaft. »Kannst mir glauben, 's war erst der Anfang.«
»Ich glaube dir.« Vitus erhob sich vorsichtig und wankte hinüber zum Streckbett, auf das er sich langsam bäuchlings niederließ. Er konnte die Stichwunden, die der Stachelstuhl seinem Gesäß und seinen Oberschenkeln zugefügt hatte, nicht sehen, aber der Anblick seiner Unterarme gab ihm einen Eindruck davon. Die Einstichstellen saßen dicht an dicht und waren von Blutergüssen umgeben.
Seine beiden Daumennägel waren dunkelbau angelaufen. Er bewegte die Hände vorsichtig, die Finger hatten ihre Gelenkigkeit uneingeschränkt behalten, doch im vorderen Glied seiner Daumen brüllte der Schmerz. Vitus wedelte mit den Händen, die Bewegung tat ihm gut, sie lenkte von den Qualen ab.
»Was is nu mit deiner Medizin gegen's Hinken?«
Vitus besann sich. »Die Heilung eines offenen Beins geht nicht von heute auf morgen. Ich brauche dazu viele Medikamente.« Er überlegte weiter, ein neuer Gedanke nahm Gestalt an. »Vor allem: Ich brauche Platz und ein großes Bett, die Behandlung offener Beine ist im Stehen oder Sitzen unmöglich. Sie muss im Liegen geschehen.«
Falls Nunu mir ein Bett beschafft, dachte er, könnte ich die nächsten Wochen auf dem Bauch schlafen, dann würden meine Wunden nicht so schmerzen. »Du wirst einen Heiltrank zu dir nehmen müssen, den ich dir frisch zubereite«, sagte er laut. »Und du wirst dein Bein mit heißem Wasser waschen müssen, jeden Tag.« Er wedelte weiter mit den Händen. Der Schmerz ließ nach, er spürte, wie das Blut wieder in seinen Daumen zirkulierte. »Ich werde dein Bein jeden Tag untersuchen müssen, um den Heilungsprozess zu verfolgen.«
»Das is aber'n ziemliches Trara, was de da machen willst.« Der Riese blickte misstrauisch.
»Stell dir vor,
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