Der Weg der gefallenen Sterne: Roman
dunkle Aura der Stärke zu verströmen schien. Evelyn aber legte beiläufig den Arm um seine Hüfte und lächelte. Leon fuhr ihr durchs Haar und legte ihr dann seinerseits den Arm um die Schultern. Sie wirkten wie zwei Kinder.
Doch als er wieder in die Kamera sah, schien sich der Druck seines Arms einen kurzen Moment zu verstärken; und sein Lächeln erreichte nicht seine Augen.
Gaia kannte diesen kalten Blick noch von damals, als sie Leon kennenlernte, und auch nachdem er in Sylum aus dem Gefängnis freigekommen war, hatte er so versteinert gewirkt. Eigentlich hatte sie gedacht, diese Seite an ihm wäre endgültig verschwunden, und es erschütterte sie, wie hart und rücksichtslos er nun wirkte. Wenn sie ihn nicht so gut kennen würde, hätte sie ihm in diesem Moment alles zugetraut.
Genevieve schluckte schwer. »Oh, Miles! Es tut mir so leid.«
»Nicht jetzt«, wehrte der Protektor ab.
Da kam Mikey ins Bild gelaufen. Er wirkte noch schlaksiger als sonst. Leon nahm ein Stück Papier aus seiner Tasche, gab es ihm, und deutete auf das Südtor. Dann schaute er wieder in die Kamera und sagte etwas zu Evelyn, worüber sie lachen musste. Bruder und Schwester warfen der Kamera gemeinsam Kusshände zu, dann eilten sie händchenhaltend Richtung Trockensee und verschwanden.
Das Gesicht des Protektors war zu einer wütenden Fratze verzogen. »Du glaubst ernsthaft, du gibst die Befehle in New Sylum?«, fragte er Gaia mit schneidender Stimme. »Und wer befiehlt dir?«
Leon gibt mir keine Befehle, dachte sie.
»Wir brauchen bloß Wasser. Wir wollen einfach nur überleben.«
»Ist das das Lösegeld für meine Tochter?«
»Es ist bloß die Wahrheit.«
»Ich verhandle nicht mit Tieren.« Der Protektor gab Marquez einen Wink. »Fessele sie, und bring sie zurück in Zelle V. Bruder Iris, informiert die Hauptmänner der Wache. Wir holen Evelyn zurück und löschen die Flüchtlinge aus. Jetzt gleich.«
»Das dürft ihr nicht tun!«, rief Gaia und schaute erschrocken zu Bruder Iris.
»Miles, du kannst dieses Mädchen nicht wieder in die Zelle werfen«, sagte Genevieve.
»Halte du dich besser raus. Es ist deine Schuld, dass er überhaupt noch am Leben ist.«
Genevieve schlug ihre Hand auf den Tisch, das Klacken der Fingernägel auf der Tischplatte ging Gaia durch Mark und Bein. »Ich werde mich nicht raushalten. Muss ich dich wirklich daran erinnern, dass ich dir schon mehr als einmal den Hals gerettet habe? Sie haben Evelyn. Kriegst du das nicht in deinen sturen Schädel? Schon mal was von Diplomatie gehört?« Sie zeigte auf Gaia. »Du musst schleu nigst damit anfangen, dieses Mädchen anständig zu behandeln.«
»Falsch«, widersprach er. »Es gibt absolut keinen Grund, hier die Mitfühlende zu spielen. Wir können sofort zuschlagen, ob es dir gefällt oder nicht.«
»Und das Konsortium? Das hast du wohl völlig vergessen.«
»Keineswegs. Rhodeski wird entzückt sein.«
» Miles! Das wird er nicht! « Ihr Entsetzen und ihre Missbilligung standen Genevieve deutlich ins Gesicht geschrieben.
Der Protektor hatte sichtlich Mühe, nicht die Beherrschung zu verlieren.
»Er hatte seine Finger an ihr«, flüsterte er.
»Ich weiß«, sagte sie mit leiser Stimme. »Ich habe es auch gesehen. Aber alles wird gut. Es kommt nicht wieder vor.«
Der Protektor ballte die Hand zur Faust, und Genevieve trat vorsichtig näher.
»Alles wird gut. Wir kriegen sie zurück«, beruhigte sie ihn.
Leon hatte mit seiner Drohung einen Fehler gemacht, das war Gaia nun klar: Es hatte die feindseligen Gefühle des Protektors nur noch mehr angestachelt. Unwillkürlich fuhr sie mit den Fingern die roten Striemen an ihren Gelenken nach, sich nur allzu bewusst, dass Marquez schon bereit stand, sie wieder zu fesseln. Emily dagegen verfolgte den Schlagabtausch, als ginge das alles sie nichts an.
»Soll ich der Wache den Befehl zum Angriff geben?«, fragte Bruder Iris.
»Warte noch«, sagte der Protektor. »Ich möchte erst wissen, wie Leons Nachricht lautet.«
»Soll ich sie fesseln?«, fragte Marquez.
Der Protektor warf Gaia einen flüchtigen Blick zu, dann seiner Frau. »Noch nicht.«
»Mich werdet Ihr wohl nicht mehr brauchen?«, fragte Emily.
»Du bist natürlich entschuldigt. Danke, Schwester.« Ohne einen weiteren Blick auf Gaia schlüpfte Emily aus der Tür.
»Was wollt Ihr eigentlich von mir?«, fragte Gaia. »Wieso sagt Ihr es nicht einfach?«
Sie schaute vom Protektor erst zu Bruder Iris, dann zu Genevieve, die ihrem Mann einen
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