Der Weg der gefallenen Sterne: Roman
tun hat.« Sie stopfte sich ein Kissen unter den Rücken. »Wahrscheinlich willst du das nicht hören, aber es gab immer Mütter in Wharfton, die ihre Kinder allein zur Welt brachten – weil sie nämlich Angst davor hatten, dass Hebammen wie du sie ihnen wegnehmen würden.«
Gaia wusste kaum, was sie erwidern sollte. »Viele dieser Mütter und Kinder sind aber auch gestorben. Eine Geburt ist kein Spiel.«
»Okay, pass auf: Wenn du mir nur auf die Nerven gehen willst, kannst du auch gleich abhauen. Du hast mich sowieso nie gemocht. Also tu jetzt nicht so, als ob du helfen wolltest.«
»Wie bitte?«
»Das läuft doch schon seit unserer Kindheit so«, fuhr Sasha fort. »Oder nicht? Eben noch waren du, Emily und ich beste Freunde, die zusammen in den Tvaltar gingen oder sonst was machten. Dann auf einmal wolltest du nichts mehr mit mir zu tun haben und hast lieber deine schlauen kleinen Spiele mit Emily gespielt.«
Gaia war entsetzt. Schmerzvolle Erinnerungen kehrten zurück. » Du warst das doch – du wolltest nicht auf Emilys Geburtstag, weil ich auch da war. Du hast gesagt, ich wäre komisch und hässlich.«
Sasha zog die Nase hoch. »Na und? Tut mir leid. Ich war dumm. Hättest du mir ja nicht ewig nachtragen müssen. Emily war irgendwann wieder nett zu mir, aber du hast mir nie eine zweite Chance gegeben.«
Beim Anblick des zarten, schwangeren Mädchens mit den schmutzigen Socken spürte Gaia, wie die alte Wut von ihr ließ. In diesem Moment gab es absolut nichts, um das sie Sasha beneidet hätte.
Sasha ließ sich zurücksinken und tadelte sie mit dem Finger. »Siehst aber immer noch komisch aus, jetzt, wo du’s sagst.«
Gaia lachte. »Ich habe keine Ahnung, was wir mit dir anstellen sollen.«
»Am besten gar nichts. Ich muss mich verstecken. Wenn sie mich finden, sperren sie mich ein, bis ich das Kind kriege, dann nehmen sie es mir ab und behaupten, ich wäre im Kindbett gestorben.«
»Das würden sie nicht tun.«
»Ach nein? Sie können mich doch gar nicht am Leben lassen. Ein totes Mädchen ist allemal besser als ein Aufstand im Trägerinstitut, meinst du nicht?« Sie nahm einen Handspiegel und fing damit das bisschen Sonnenlicht ein, reflektierte es verspielt an die steinernen Wände.
»Gibt es noch mehr Frauen im Institut, denen es wie dir geht?«, fragte Gaia.
»Was glaubst du denn?«
»Wie viele sind es?«
»Sechs, von denen ich weiß. Sie haben alle eine Heidenangst und sehen keinen anderen Ausweg, als mitzuspielen.«
»Sie sollten sich gemeinsam gegen das Pilotprojekt aussprechen. Vielleicht könnte man es dann noch aufhalten.«
»Denk mal nach, Gaia. Reiche Eltern aus der Enklave zahlen jetzt schon riesige Summen für die Babys – das Hundertfache von dem, was wir dabei verdienen. Wenn das Institut einen Erfolg vermelden kann, werden sie enormen Zuwachs haben. Die Mädchen für die nächste Runde sind schon ausgesucht. Bald werden Dutzende wie wir in der Babyfabrik leben.«
»Woher weißt du das alles?«
»Weil ich Augen und Ohren offenhalte«, sagte Sasha spöttisch. »Ich bin vielleicht nicht so schlau wie Emily oder du – aber ich hab genug gehört, um zu wissen, was los ist. Deshalb hab ich ja das Armband durchgeschnitten und bin abgetaucht.«
»Ich kann immer noch nicht glauben, dass Emily bei so was mitmacht.«
»Seit Kyle tot ist, juckt sie nicht mehr viel, außer vielleicht ihre beiden Jungs.«
Gaia erinnerte sich an das, was Emily ihr gesagt hatte. »Sie gibt mir die Schuld an seinem Tod.«
»Na ja.« Sasha wiegte den Kopf hin und her. »Das war ja auch leicht, solange du nicht da warst. Leichter jedenfalls, als die Schuld bei sich selbst oder Kyle oder den Entscheidungen zu suchen, die sie getroffen haben.« Sie warf einen Blick in den Spiegel.
Gaia fielen wieder ihre Augenringe auf. »Wann hast du dich das letzte Mal untersuchen lassen?«
»Komm jetzt nicht auf komische Gedanken.«
Gaia lächelte. »Stell dich nicht so an. Du weißt doch, dass ich das ständig mache.«
»Oh nein. Auf gar keinen Fall.«
»Komm wenigstens mit nach oben. Ich habe Freunde in der Enklave, bei denen du dich verstecken kannst. Ich bin sicher, die Jacksons würden dir helfen. Sei nicht so stur.«
»Ich bin nicht stur – ich traue bloß keinem.«
Gaia wünschte, sie könnte Sasha einfach eine Anweisung geben, aber Sasha kam nicht aus Sylum. »Ich muss wieder zurück zur Bibliothek. Kennst du den Weg?«
Sasha hob eine Braue, dann stellte sie die Füße auf den Boden. »Das ist ein
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