Der Weg der gefallenen Sterne: Roman
Wachen mit einer weißen Krankentrage herein.
Man schob ihr den Ärmel hoch, stach eine Nadel in ihre Armbeuge und legte ihr eine Infusion an. Den Schlauch banden sie fest, damit er nicht abriss. Immer noch ganz benommen registrierte Gaia, dass Sephie neben ihr stand und einen Tropf anschloss, der genau wie der aussah, der Leon in Schlaf versetzt hatte.Sie tippte an den Beutel und drehte ihn auf.
»Einen Moment noch, bitte«, sagte Bruder Iris.
Er nahm ein glänzendes, elastisches Band und zog es kraftvoll an ihrem linken Handgelenk fest. Die Enden verband er mit einem glitzernden Faden, woraufhin es von einem weichen, blauen Licht erfüllt wurde.
»Es ist nur angemessen, dass du auch so eins trägst«, sagte er. »Du bist zwar keine richtige Trägermutter – aber da dein Beitrag zum Institut noch weit wertvoller ausfallen wird, finde ich, dass du die Ehre verdient hast.«
Da begriff sie – und das Begreifen stürzte sie in tiefste Verzweiflung. »Nein«, flüsterte sie.
Bruder Iris lächelte ihr noch einmal zu. »Ganz recht – Zeit, zu ernten.«
21 Mittag
Als sie wieder zu sich kam, befand sie sich in einem kleinen, hellblau gestrichenen Raum. Sie lag auf der Seite in einem Bett, sodass ihre Kette ihr den Hals kitzelte. Jeder Millimeter ihrer Haut schien zum Zerreißen gespannt, und darunter fühlte sich ihr ganzer Körper an wie zerbrochen und wieder zusammengeklebt. Die Spitzen ihrer kleinen Finger waren versengt. Man hatte sie gebadet und in ein leichtes, weißes Nachthemd mit Stickereien an den Ärmeln gekleidet. Sie hob den Kopf vom Kissen und versuchte sich zu orientieren. Auf einem Nachttisch stand eine Blumenvase, und durch die zarten Vorhänge wehte eine warme Brise.
Da klopfte es an der Tür, und Emily trat vorsichtig ein. Sie brachte ihr ein weißes Kleid und weiße Schuhe.
»Wie geht es dir?«, fragte sie.
»Schrecklich«, krächzte Gaia.
Emily reichte ihr ein Glas Wasser, doch als Gaia sich aufsetzte, schossen ihr scharfe Schmerzen durch den Unterleib. Sie griff nach ihrem Bauch. Erst verblüffte sie bloß, was sie fand, dann erstarrte sie vor Entsetzen. Hektisch zog sie ihr Nachthemd hoch und stellte fest, dass man ihr einen viereckigen Verband auf den Unterleib geklebt hatte.
»Nicht anfassen«, sagte Emily leise.
Gaia aber hatte schon eine Ecke gelöst, und als sie den Verband leicht anhob, sah sie einen frischen, vier Zentimeter langen Schnitt unter ihrem Nabel, sauber genäht. Sie haben es wirklich getan, dachte sie fassungslos. Sie haben mir die Eierstöcke entnommen.
Sprachlos starrte sie Emily an.
»Tut mir leid, was dir passiert ist«, sagte Emily. »Der Protektor ist zu weit gegangen.«
Sie wollte es noch immer nicht wahrhaben. Irgendwie hatte sie nicht einmal geglaubt, dass es überhaupt möglich war. »Was haben sie mit meinen Eizellen gemacht?« Sie zog, so fest sie konnte, an dem leuchtenden blauen Band an ihrem Gelenk, doch sie bekam es nicht ab. Leons rotes Bändchen war lose im Vergleich.
Emily reichte ihr das Kleid. »Ich weiß nicht. Ich würde vermuten, dass sie an den Meistbietenden verkauft worden sind. Aber das ist jetzt egal. Du musst dich rasch anziehen – die Hälfte der Enklave will dich hängen sehen für das, was ihr getan habt. Am Südtor gab es einen Toten, und Dutzende sind verletzt. Sie nennen dich eine Terroristin. Bruder Rhodeski und die Geldgeber des Instituts haben aber etwas für dich ausgehandelt: Sie haben gesagt, wenn du die Operation überlebst, würden sie ihr Wort halten und den Menschen vor der Mauer Wasser geben.«
Gaia schwang die Beine aus dem Bett. »Wo ist Leon? Wo sind Peter, Pyrho und die anderen?«
»Deshalb bin ich gekommen. Man wird sie hinrichten.«
»Wann?«
»In wenigen Minuten, zur Mittagsstunde. Der Protektor wollte nicht, dass du dich zeigst – er sagte, dann könne er nicht für deine Sicherheit garantieren. Ich finde aber, du solltest es wissen.«
Gaia warf einen Blick auf ihre Uhr. Es war 11.47 Uhr.
»Hilf mir«, sagte Gaia. Das Adrenalin verdrängte ihre Schmerzen und die Schwäche. Sie stellte die Füße auf den Boden, kämpfte sich hoch und warf sich das Kleid über. »Wir müssen sie aufhalten!«
»Es hat keinen Sinn«, sagte Emily. »Deine Freunde sind Kriminelle. Der Protektor wird sie zu Sündenböcken machen. Die übrigen Aufständischen hat er auf dem Bastionsplatz festgesetzt. Sie haben dort die ganze Nacht und den Morgen verbracht, weil im Gefängnis nicht genug Platz für sie ist, und sie dürfen
Weitere Kostenlose Bücher