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Der Weg der gefallenen Sterne: Roman

Der Weg der gefallenen Sterne: Roman

Titel: Der Weg der gefallenen Sterne: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caragh O'Brien , Oliver Plaschka
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sich die Tastatur zurecht und drückte eine Taste. Sie wartete – und je länger sie wartete, desto schlimmer wurde ihre Angst. Wieder schluckte sie angestrengt. Bruder Iris schaute sie an, seine Brillengläser waren helle Spiegel.
    »Bereit?«, fragte er. »Fünf, vier, drei …«
    Ein Blitz durchzuckte sie. Der Schock war so stark, dass sich jeder Muskel, jede Sehne ihres Körpers verkrampfte und sie als zitterndes, entsetztes Bündel zurückließ. Ihre Zähne verbissen sich so tief in das Plastik, dass sie sich beinahe berührten, und beim Versuch, zu schlucken, erstickte sie fast.
    Bruder Iris trat hinter dem Tisch hervor, nahm ihr den Mundschutz heraus und warf ihn in einen Abfalleimer. Gaia legte den Kopf zurück und japste nach Luft. Ihre Arme und Beine wurden noch immer von Krämpfen geschüttelt und ihr ganzer Körper zitterte wie Espenlaub. Nur am Rande bekam sie mit, dass Bruder Iris den Kasten auf dem Tisch geöffnet und ihm etwas entnommen hatte: einen weiteren Mundschutz.
    »Und, wie fandest du das?«, fragte er.
    Ihre Kehle tat so weh, dass sie keine angemessene Beleidigung über die Lippen bekam.
    Mit einem Taschentuch wischte er ihr Augen und Nase ab. Als er dann abermals mit dem Finger über ihre Wange strich, tat sie fast einen Satz, trotz der Fesseln, denn diesmal fühlte es sich an, als wäre sein Finger mit tausend Nadeln gespickt.
    »Eine interessante Nachwirkung, nicht wahr? Die Nerven stumpfen keineswegs ab, wie man meinen sollte, sondern werden im Gegenteil noch empfindlicher.« Er trat zurück und studierte sie wieder. »Ich muss einmal nach deinem Verlobten sehen und wie er wohl mit seinem Vater zurechtkommt. Die beiden hatten nun wirklich nie eine leichte Beziehung.«
    Sie hörte ihn zur Tür gehen.
    »Eins noch«, sagte er da. »Falls du nicht selbst darauf gekommen bist: Die Kamera ist live. Leon kann alles ganz genau verfolgen.«
    Sie hob den Kopf und schaute zur Ecke hoch, wo der kleine weiße Kasten mit seinem roten Lämpchen hing. Beim Gedanken an Leon litt sie neue Qualen. Genau der Albtraum, vor dem er sich gefürchtet hatte, war nun Wirklichkeit für sie beide geworden.
    »Du kannst ihr noch etwas Gesellschaft leisten«, sagte Bruder Iris sanft.
    Dann zog er die Tür hinter sich zu. Der Sinn seiner Worte erschloss sich ihr erst, als sie wieder das Schnüffeln des Ferkels hörte: Bruder Iris würde zurückkommen. Sie wollte nicht weinen, sie sagte sich, dass es so schlimm gar nicht war und dass sie ihr Leid Leon nicht zeigen durfte – doch sie hatte noch nie in ihrem ganzen Leben solche Angst gehabt.
    Bruder Iris kam und ging. Manchmal gab er ihr Stromschläge, manchmal nicht. Er wollte wissen, wer die Sprengsätze an der Mauer gelegt hatte und wer für den Stromausfall letzte Nacht verantwortlich war. Er wollte mehr über die Bomben in seinem Schornstein, dem Weinberg, der Mycoproteinfabrik und über ein halbes Dutzend weitere Explosionen wissen, die überall in der Stadt die Wasserversorgung und das Stromnetz beschädigt hatten. Am liebsten hätte er eine komplette Liste aller Ziele von ihr erhalten, aber sie kannte ja selbst nur ein paar davon. Mehr hatte ihr Leon nicht verraten. Alles, was sie mit Sicherheit wusste, war, dass noch eine Bombe ausstand – doch sie wusste nicht, wo und wann sie explodieren würde.
    Eigentlich wollte sie Bruder Iris nichts sagen, aber die Schmerzen waren so stark, und sie war bald so durcheinander, dass sie nicht länger wusste, was sie redete. Beschämt und gebrochen musste sie sich eingestehen, dass sie ihm alles erzählen würde – einfach nur, damit er aufhörte.
    Und als er ihr dann nicht einmal mehr Fragen stellte, ehe er ihr einen neuen Stromschlag gab, begriff sie, dass es gar keinen Unterschied machte, was sie ihm sagte oder nicht. Ihr Schicksal hing einzig von dem ab, was Leon gestehen würde, während er ihrer Folter zusah. Verwirrt und getroffen blickte sie ein aufs andere Mal zur Kamera. Wie konnte er dies einfach weitergehen lassen?
    Bitte gib doch endlich auf, dachte sie.
    Sie war kaum mehr bei Bewusstsein und hing schlaff und zusammengesunken auf dem Stuhl, als Bruder Iris ihr den letzten Mundschutz herausnahm. Sie konnte kaum noch schlucken; selbst der Kiefer tat ihr weh.
    »Hallo«, sagte er sanft. »Wie geht es uns?«
    Es gab nichts, was sie darauf hätte erwidern können.
    Er legte ihr ihre Halskette um und zog sie zurecht. Das kalte Metall brannte auf ihrer gereizten Haut. Gaia hörte Geräusche, dann traten ein paar

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