Der Weg der Helden
Heimreise gelernt. Was soll ich Eurer Meinung nach tun, Rael?«
» Zuerst einmal solltet Ihr etwas blaue Farbe in Euer Haar schmieren«, erwiderte Rael mit einem müden Lächeln. » Dann macht ein paar Tage Urlaub. Danach sammelt Ihr Eure Mannschaft. Keiner von ihnen hat jemals auf einer voll aufgeladenen Schlange gekämpft. Fahrt mit ihnen aufs Meer hinaus und bildet sie aus. Ich werde Euch zusätzlich dreißig Avatar-Soldaten mitgeben.«
» Die Waffen des Schiffs müssen neu aufgeladen werden«, erwiderte Talaban. » Dafür brauchen wir mehr als hundert Kristalle.«
» Ich werde sie zum Schiff bringen lassen.«
» Glaubt Ihr, dass die Neuankömmlinge einen Krieg vom Zaun brechen werden?«
» Das ist wohl unausweichlich.« Rael lächelte müde. » Denn sie werden arrogant sein, so wie wir, und an ihre Überlegenheit und ihr göttliches Herrschaftsrecht glauben.«
Die Taverne war verlassen, die Gäste waren gegangen und die Tische leer. Dennoch schlief Sofarita nicht. Sie saß auf dem Fensterbrett, angespannt und furchtsam, und blickte auf den stummen Platz hinab. Sie konnte sich nicht entspannen, denn wenn sie es versuchte, stiegen Bilder vor ihrem inneren Auge auf, von Leuten, die sie nicht kannte, von Plätzen, die sie niemals gesehen hatte, und sie hörte Worte und Gespräche, die sie noch nie vernommen hatte.
Jedes Mal, wenn diese Visionen kamen, hatte sie das Gefühl, als würde sie mit ihnen fließen und in einem Meer aus Leben ertrinken. Sie fürchtete diesen Fluss. Ein Fall, als kleines Kind, war sie in den Luan gefallen, war hinabgesunken bis auf den schlammigen Grund, war unter dem reißenden Wasser verschwunden. Ein Bauer war in den Fluss gesprungen, um sie zu retten, und hatte sie herausgezogen. Jetzt jedoch war kein Bauer da, der sie aus diesem Fluss der Träume anderer Menschen herausziehen konnte.
Sofarita konnte einfach nicht begreifen, warum ausgerechnet ihr dieses mystische Phänomen zustieß. Sie hatte noch nie zuvor Visionen gehabt. Sie fragte sich, ob es möglicherweise ein Anzeichen für nahenden Wahnsinn sein könnte. Vielleicht waren die Visionen gar nicht real, sondern sie bildete sie sich nur ein. Vielleicht hatte sie Fieber. Sie legte eine Hand auf ihre Stirn; sie war nicht heiß. Sie erhob sich von dem Fensterbrett, ging in den Raum und trank einen Becher Wasser. Die Müdigkeit setzte ihr zu, und sie sehnte sich nach dem Segen des Schlafes.
Aber wenn sie nun nie wieder aufwachte? Wenn der Fluss der Träume sie einfach davontrug?
Sie kannte niemanden in der Stadt, an den sie sich um Hilfe hätte wenden können. Du bist allein, sagte sie sich. Du musst dir selbst helfen. Dieser Gedanke war merkwürdig hilfreich. Gewiss, sie konnte sich auf niemanden verlassen, aber andererseits verließ sich auch umgekehrt niemand auf sie. Sie war wirklich zum ersten Mal in ihrem Leben frei. Nicht Opfer der Launen eines Vaters, für den Frauen nicht sonderlich viel Wert hatten, und auch nicht Opfer eines Ehemannes, den sie gemocht und respektiert, aber nicht wirklich geliebt hatte. Sie war nicht länger in einer engstirnigen Dorfgemeinschaft angekettet.
Der Fluss der Träume bot ihr wenigstens eine gewisse Aufregung.
Sofarita legte sich wieder auf das Bett, den Kopf auf dem Kissen. Sie zog die Decken über ihre Schultern und schloss die Augen. Diesmal gab es keine Visionen, keine furchteinflößenden Szenen.
Sie war im Keller der Taverne. Baj saß an einem schmalen Tisch, den Kopf in den Händen. Er weinte. Ein Mann saß neben ihm. Er war von mittlerem Alter, hatte mit grauen Strähnen durchsetztes blondes Haar und einen Bart. Ein goldblondes Kind schlief auf einer Pritsche an der Wand. Sofarita beobachtete die Szene, zunächst leidenschaftslos, aber dann berührte sie Bajs sichtliche Bestürzung. Sie trat vor, um ihn zu trösten … und bemerkte dann, dass sie über der Szene schwebte. Die Männer konnten sie nicht sehen.
» Hör auf zu weinen, Mann, und sag mir, was passiert ist«, befahl der ältere Mann.
» Er hat sie getötet. Es war schrecklich.« Baj blickte hoch, sein Gesicht vor Qual verzerrt. » Ich habe nichts getan, Boru. Ich stand wie erstarrt im Schatten.«
» Er hätte dich ebenfalls getötet«, entgegnete Boru. » Viruk anzugreifen war ungeheuer dumm.«
» Forjal hat gesehen, wie er zu der Zusammenkunft ging. Er war unbewaffnet. Wenn ich gehandelt hätte …«
» Aber das hast du nicht«, unterbrach Boru ihn barsch. » Hat Forjal geredet, bevor er starb?«
» Ja, aber er
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