Der Weg der Helden
sterben. Gefährlich wird es, wenn er den Nebel hebt, damit der Nachschub hindurch kann. Ihr müsst einen geheimen Weg finden, über den Ihr ihn versorgen könnt.«
» Das werde ich, Cousin. Aber wenn er eine solche Macht im Tal wirken kann, dann kann er das doch auch ganz gewiss hier tun? Könnte er nicht eine Barriere aus Nebel vor die Städte legen und unsere Feinde vernichten, wenn sie anlegen?«
Rael schüttelte den Kopf. » Er würde nicht einmal darüber nachdenken«, erklärte er. » Anu ist kein Mörder. Und ich kann ihn zu so etwas nicht zwingen. Glaubt mir, ich habe es versucht. Also, gibt es noch Fragen?« Die Questoren blieben stumm. » Gut. Machen wir uns an unsere Aufgaben, meine Freunde, und möge die Quelle unser Unterfangen segnen.«
Innerhalb einer Stunde begann die Evakuierung. Truppen der Vagaren marschierten durch die Straßen und scheuchten verwirrte Bürger aus ihren Häusern. Es gab einige Proteste, aber die Anwesenheit der blauhaarigen Konzilsräte der Avatar machte die Masse gefügig. Niemand wollte wegen zivilen Ungehorsams verhaftet werden, weil das unweigerlich den Kristalltod zur Folge hätte. Den Leuten wurde versichert, dass Truppen der Vagaren durch die verlassenen Stadtbereiche patrouillieren und Häuser und Besitztümer vor Plünderern schützen würden.
Dennoch war es eine zähe Angelegenheit; die zwei Stunden waren fast vergangen, und mehr als tausend Häuser mussten noch geräumt werden. Flüchtlinge verstopften die Straßen, und es gab Streitigkeiten. Einmal, als ein Rad von einem schwer beladenen Karren abbrach, was dazu führte, dass die Kolonne aufgehalten wurde. Und dann noch einmal, als ein Kaufmann der Vagaren versuchte, mit seinem Pferd rücksichtslos durch die Menge zu reiten. In beiden Fällen griffen die Truppen der Vagaren ein.
Questor Ro hockte derweil im Hafenturm und ölte die Zahnräder und Gelenke der Sonnenfeuer. Drei Avatar-Soldaten waren bei ihm, und im Hintergrund warteten zehn Arbeiter der Vagaren auf den Befehl, die Kanonen zurückzuziehen, sobald die Entladung erfolgt war. Der Turm bestand aus schweren Steinquadern und schien ziemlich sicher zu sein, vor allem im Erdgeschoss. Aber Ro hatte keine Ahnung, mit welchen Waffen man ihn beschießen würde. Mit einem weichen Tuch wischte er überflüssiges Öl von den Zahnrädern und polierte gedankenverloren das lange bronzene Rohr. Die Waffe war auf das kleine Fenster ausgerichtet, was bedeutete, dass sie nur ein schmales Schussfeld hatte. Jetzt trat Ro an das Fenster und blickte über die Bucht. Er konnte alle acht goldenen Schiffe sehen. Aber sie waren mindestens eine halbe Meile von ihm entfernt. Konnten sie aus dieser Entfernung den Turm beschießen? Ro wusste es nicht.
Die Sonnenfeuer hatte fast neunzig Jahre im Museum gestanden. Ro war dabei gewesen, als eine solche Waffe das letzte Mal eingesetzt worden war, und zwar gegen die Kriegsschiffe der Khasli. Deren gesamte Flotte war vernichtet worden. Wie auch das Volk der Khasli selbst, während eines vierzehn Jahre dauernden Krieges. Jetzt sind wir die Khasli, dachte Ro. Er versuchte sich zu erinnern, wie lange man zwischen den einzelnen Schüssen warten musste, bis sich die Kristalle wieder aufgeladen hatten. Aber es fiel ihm nicht ein. Er wusste nur, dass die Kanone ein paar Minuten brauchte, bis sie sich nach einem Schuss wieder aufgeladen hatte.
Ro winkte die Soldaten zu sich und richtete die Röhre neu aus. Er zielte auf die Mündung der Bucht. Mit einem langen Zollstock überprüfte er die Position, die parallel zum Boden verlaufen musste. Sie war um die Haaresbreite aus der Balance. Er kalkulierte im Kopf die Wirkung, die diese Abweichung über eine Entfernung von vierhundert Schritten haben konnte. Schweiß strömte ihm von den Schläfen. Ro war kein Krieger und hatte nur wenig Erfahrung mit der Waffe. Andererseits traf das abgesehen von Rael auf alle Avatar in Egaru zu. Die Sonnenfeuer waren seit fast zweihundert Jahren nicht mehr benutzt worden. Die Zhi-Bogen hatten gegen die Stämme mehr als ausgereicht. Jetzt trat Ro an das hintere Ende der Waffe und hob das Visier an, einen dünnen Arm aus Bronze, an dem ein goldener Ring befestigt war. Er richtete dieses Visier mit dem kurzen Dorn am anderen Ende des Rohres aus.
Sein Mund war trocken, und er bat um einen Becher Wasser. Einer der Soldaten füllte einen Becher aus einem irdenen Krug. Ro nippte an der Flüssigkeit, und sein Blick zuckte zum Stundenglas. Der bunte Sand rieselte langsam
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