Der Weg der Könige - Sanderson, B: Weg der Könige - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1
sich an die Überreste der Nacht. Sie roch sauber und frisch. Frühlingswetter.
Du bist aufgestanden, also kannst du auch weitermachen, sagte Kaladin zu sich selbst. Er zwang sich hinauszugehen und
Dehnübungen zu machen. Sein Körper beschwerte sich bei jeder Bewegung. Dann untersuchte er seine eigene Wunde. Sie war zwar nicht allzu schlimm, aber eine Infektion könnte ihn in große Schwierigkeiten bringen.
Die Sturmwinde sollen diesen Apotheker holen!, dachte er, nahm eine Kelle voll Wasser aus dem Fass der Brückenmänner und wusch die Wunde damit aus.
Sofort bedauerte er seine Wut über den alten Apotheker. Was sollte der Mann denn tun? Sollte er Kaladin das Desinfektionsmittel umsonst geben? Es war der Großprinz Sadeas, den er verfluchen sollte. Sadeas war für die Wunde verantwortlich, und er war auch derjenige, der den Ärzten verboten hatte, Medizin an Brückenmänner, Sklaven und Diener aus den unteren Nahnen zu geben.
Als er seine Dehnübungen beendet hatte, waren bereits einige Brückenmänner aufgestanden und holten sich etwas zu trinken. Sie standen um das Fass herum und beobachteten Kaladin.
Es gab nur eines, was er jetzt tun konnte. Kaladin biss die Zähne zusammen, überquerte den Holzplatz und suchte nach der Planke, die er gestern herumgetragen hatte. Die Zimmerleute hatten sie noch nicht in die Brücke eingepasst, und so hob Kaladin sie auf und ging damit zur Baracke zurück. Dann übte er mit der Planke, wie er es auch gestern schon getan hatte.
Aber er konnte nicht mehr so schnell gehen. Er konnte sogar kaum noch gehen. Aber je mehr er schuftete, desto mehr wichen die Schmerzen zurück. Sein Kopf wurde klarer. Füße und Schultern taten zwar noch weh, und er verspürte auch eine tiefe Erschöpfung, aber er wollte sich die Peinlichkeit des Zusammenbrechens unbedingt ersparen.
Auf seinem Weg kam er auch an den Baracken anderer Brückenmannschaften vorbei. Die Männer dort waren von jenen bei Brücke Vier kaum zu unterscheiden: dieselben dunklen,
schweißfleckigen Lederwesten über nackten Oberkörpern oder lockeren, zusammengebundenen Hemden. Hier und da ein Ausländer, meistens Thaylener oder Veden. Aber das abgerissene Aussehen, die unrasierten Gesichter und die starren Blicke ließen sie alle gleich erscheinen. Einige Gruppen beobachteten Kaladin mit offener Feindseligkeit. Hatten sie Angst, dass seine Übungen ihre eigenen Brückenführer dazu ermuntern könnten, ihnen etwas Ähnliches aufzuerlegen?
Er hatte gehofft, dass sich einige Mitglieder von Brücke Vier seinen Übungen anschlössen. Schließlich hatten sie ihm während der Schlacht gehorcht und ihm sogar mit den Verwundeten geholfen. Doch seine Hoffnung war umsonst. Während ihm einige seiner Brückenmänner zusahen, beachteten ihn die anderen erst gar nicht. Keiner machte mit.
Schließlich schwirrte Syl herunter und landete auf dem Ende seiner Planke, auf der sie nun wie eine Königin in ihrer Sänfte saß. »Sie reden über dich«, sagte sie, als er wieder an der Baracke von Brücke Vier vorbeikam.
»Das überrascht mich gar nicht«, stieß Kaladin unter Keuchen hervor.
»Einige glauben, dass du wahnsinnig geworden bist«, sagte sie. »Wie der Mann, der nur dasitzt und den Boden anstarrt. Sie sagen, dass die Anstrengungen der Schlacht deinen Geist zerstört haben.«
»Vielleicht haben sie damit ja Recht. Darüber habe ich auch schon nachgedacht.«
»Was ist wahnsinnig ?«, fragte sie und zog ein Bein an die Brust. Ihr dunstartiger Rock umflatterte ihre Waden und lief in Nebelschwaden aus.
»Das bedeutet, dass ein Mensch nicht mehr richtig denken kann«, erklärte Kaladin. Für die Ablenkung, die ihm dieses Gespräch bot, war er dankbar.
»Die Menschen scheinen nie richtig zu denken.«
»Wenn sie wahnsinnig sind, dann ist es bloß schlimmer als gewöhnlich«, erklärte Kaladin und lächelte. »Es hängt von den Menschen in der unmittelbaren Umgebung ab. Wie anders als sie bist du? Ich vermute, derjenige, der sich von ihnen abhebt, ist wahnsinnig.«
»Ihr stimmt also darüber ab?«, fragte sie und hob den Kopf.
»Nicht wirklich, aber doch so ähnlich.«
Einige Zeit saß sie nachdenklich da. »Kaladin«, sagte sie schließlich, »warum lügen Menschen? Ich verstehe zwar, was Lügen sind, aber ich weiß nicht, warum Menschen so etwas tun.«
»Dafür gibt es eine Menge Gründe«, sagte Kaladin. Er wischte sich mit der freien Hand den Schweiß von der Stirn und verwendete sie dann wieder zur Stabilisierung der
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