Der Weg in die Dunkelheit 1: Die Erwählte (German Edition)
zum Rest des Reviers verdeckten, bestanden aus beigefarbenem Plastik. Die Luft war etwas abgestanden, die Lampen an der Decke surrten, und Leute gingen an mir vorbei, ohne mehr als einen kurzen Blick auf mich zu werfen. Irgendwie gefiel mir die Anonymität.
Ich zeichnete mit einem Finger die Initialen nach, die in den Sitz des Stuhls neben meinem geritzt waren, und ließ meine Gedanken zu Luc schweifen. War er Veritys Freund? Sie hätten als Pärchen großartig ausgesehen, Verity ganz blond und strahlend, Luc so dunkel und glutvoll. Anders als ich hätte sie sich gegen ihn behaupten können. Sie hätte mehr Antworten und weniger Beleidigungen aus ihm herausbekommen. Eigentlich gar keine Beleidigungen. Dennoch konnte ich nicht glauben, dass sie unseren New-York-Plan für einen Kerl in den Wind geschossen hatte– noch nicht einmal für Luc. So illoyal war sie nicht. Was auch immer zwischen ihnen vorgefallen war, in was auch immer sie verwickelt worden war… es war so schlimm, dass sie mich im Stich gelassen hatte. Ich schwankte zwischen Angst und Kränkung hin und her; von beidem wurde mir übel.
Eine Frau– vielleicht Mitte fünfzig, mit gut geschnittenem aschblondem Haar, kantigem, klugem Gesicht und teurem Hosenanzug– kam ins Wartezimmer spaziert. Als sie mich entdeckte, trat sie auf mich zu.
» Mo?«
Ich nickte, stand unbeholfen auf und hängte mir die Tasche über die Schulter. Ich hatte die Schneekugel zu Hause gelassen, in meinem Wäschekorb vergraben. Diebesgut auf ein Polizeirevier mitzunehmen kam mir mehr als dumm vor, und da meine Mutter nur montags Wäsche wusch, war der Haufen schmutziger Kleider der sicherste Ort im Haus. Dieses eine Mal waren die eisernen Gewohnheiten meiner Mutter sehr praktisch.
» Elsa Stratton. Wir haben gestern miteinander gesprochen.« Sie schüttelte mir die Hand. Ihr Händedruck war kräftig, ihre Nägel hatten eine perfekte französische Maniküre hinter sich.
» Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte ich und log damit auf ganzer Linie. Sie war absolut furchterregend, ein Pitbull in Nadelstreifen mit Chanel No. 5. Ich wusste nicht, wie viel sie Onkel Billy in Rechnung stellte, aber ich hatte schon jetzt den Eindruck, dass sie es wert war.
» Ganz meinerseits. Setzen wir uns doch für einen Augenblick hin. Hat jemand mit dir gesprochen, seit du hier angekommen bist?«
» Der Polizist am Tresen hat mir gesagt, dass ich hier warten soll.«
» Hervorragend. Ich rechne heute nicht mit irgendwelchen Überraschungen. Du wirst dir ein paar Bilder ansehen, und Kowalski wird die Aussage noch einmal durchgehen, die du im Krankenhaus gemacht hast. Wenn du dir bei irgendetwas nicht sicher bist, überlass es mir.« Sie winkte einen uniformierten Polizisten heran. » Sagen Sie Detective Kowalski, dass seine eine Stunde vor fünf Minuten begonnen hat.«
Der Polizist huschte durch eine Tür mit der Aufschrift NUR FÜR AUTORISIERTES PERSONAL , und Elsa wandte sich mir zu. » Gibt es irgendetwas, das ich wissen sollte, bevor wir da hineingehen? Irgendetwas, das du am Telefon zu erwähnen vergessen hast?«
Ich schüttelte den Kopf. Es gab natürlich sehr vieles, wovon ich ihr nichts erzählt hatte– die Albträume, die mich um zwei Uhr nachts aus dem Schlaf rissen, Luc und seine Halbantworten, meine eigene Suche nach Veritys Mördern–, aber nichts davon gehörte in die Kategorie der Dinge, die Elsa und mein Onkel wissen sollten. Meine Dankbarkeit gegenüber Onkel Billy dafür, dass er mir einen offensichtlich leistungsstarken Rechtsbeistand zur Seite gestellt hatte, ging nicht so weit, dass ich ihm alles anvertraut hätte.
Kowalski trat durch die Tür; er sah müde und zerknittert aus, obwohl es erst ein Uhr war. Elsa würde Hackfleisch aus ihm machen, wie ich annahm, und der Gedanke hätte mich zuversichtlicher stimmen sollen. Stattdessen empfand ich fast ein wenig Mitleid mit dem Typen. Er suchte ja vielleicht an der falschen Stelle nach Veritys Mörder, aber wenigstens suchte er. Er hielt eine Kaffeetasse mit der verblassten blauen Aufschrift » Bester Vater der Welt« in einer Hand und einen dicken Aktenordner in der anderen. » Guten Tag, Ms. Stratton«, sagte er und hob die Tasse zum Gruß. » Tag, Mo. Danke, dass Sie vorbeigekommen sind.«
Er hielt die Tür mit dem Fuß auf und winkte uns hindurch. Am Ende des Flurs lag ein Raum voller Schreibtische, Aktenschränke und Polizisten. Stimmengewirr und Telefonklingeln drangen zu uns, aber Kowalski bedeutete uns stattdessen,
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