Der Weg in die Dunkelheit 2: Die Wächterin
und schrieben gleichzeitig SMS . Ihre Sprache war mir so fremd wie die der Bögen. Ich hatte dieses sorglose Geplapper nie fließend beherrscht.
Ich lehnte mich erschöpft gegen eine Wand, fühlte mich plötzlich so einsam, dass es mir die Kehle zuschnürte, und sah zu, wie mein Onkel sich durch den Raum arbeitete. Er war in selten guter Form, leutselig und redefreudig. Vielleicht hatte das etwas mit Elsas Besuch zu tun. Er schüttelte allen möglichen Leuten die Hände, fragte nach ihren Familien und vergewisserte sich, dass alles in seinem kleinen Reich so lief, wie es sollte. Erst in letzter Zeit hatte ich zu bemerken begonnen, was schon immer vorhanden gewesen war – den dünnen Mantel aus Furcht, der den Respekt überlagerte, mit dem ihn alle behandelten.
Wieder keimte Wut in mir auf. Er hatte mich schon so viel gekostet, und es war ihm völlig gleichgültig, weil er dennoch bekam, was er wollte, während ich … nichts bekam, sondern nur einen Mann, der nicht mit mir zusammen sein wollte, eine ganze Schule voller Leute, die mich für eigenbrötlerisch und kriminell hielten, einen abwesenden Vater. Meine Finger ballten sich zu Fäusten. Ich musste hier weg, bevor ich eine Szene machte, die alle nur in dem Glauben bestärken würde, dass ich dabei war, den Verstand zu verlieren.
I ch zog den Kopf ein und machte mich auf den Weg zum Ausgang, nur um stehen zu bleiben, als jemand mich am Arm packte. Ich stolperte bei dem plötzlichen Richtungswechsel.
» Wen guckst du so böse an?«, fragte Luc.
» Ich gucke gar nicht …«, sagte ich automatisch und völlig unzutreffend. Ich schüttelte Lucs Griff ab und starrte ihn verärgert an. » Was machst du hier? Hat Orla es sich anders überlegt?«
» Wir müssen reden.«
» Ich bin in der Kirche. Es ist ein ziemlich schlechter Zeitpunkt.«
» Das lässt sich nicht ändern.« Sogar lässig gekleidet, mit schwarzem Pullover und dunklen Jeans, brachte er es noch fertig, eleganter und attraktiver als irgendjemand sonst im Gemeindesaal zu wirken. Er ließ den Blick über die verschiedenen Grüppchen schweifen. » Wo steckt Cujo?«
» Zu Hause, schätze ich.« Ich wollte nicht über Colin reden. Es tat zu weh, und Luc war zu aufmerksam.
» Es sieht ihm gar nicht ähnlich, dich aus den Augen zu lassen. Schlampig.«
Ich hatte vergessen, wie schnell Luc mich bis aufs Blut reizen konnte. » Wir sind mit meinem Onkel hier.«
» Da brauchst du deinen persönlichen Wachhund nicht, was?«
» Billy sorgt für uns.« Und noch besser für sich selbst. Ich sah mich um. Niemand hatte Luc bemerkt, und wenn ich mich konzentrierte, konnte ich das schwache Summen von Magie wahrnehmen, das von ihm ausging. Er hatte sich verhüllt. Alle dachten wahrscheinlich, dass ich Selbstgespräche führte. Toll.
Sollte Luc doch reden, wenn er wollte. Ich musste ja nichts sagen. Stattdessen beobachtete ich die Leute, wie ich es immer tat. Sie waren so berechenbar – die gleichen Grüppchen, die sich Woche für Woche an den gleichen Stellen zusammenfanden und die gleichen Gespräche führten. Aber irgendetwas kam mir seltsam vor, als würde ich durch eine falsch ausgerichtete Kamera blicken. Irgendetwas war anders, auch abgesehen von Luc an meiner Seite, einen Zentimeter zu nahe bei mir, wie immer. Ich lauschte dem An- und Abschwellen der Gespräche, der Art, wie Stimmen sich erregt erhoben und wieder verklangen, dem Schweigen, das sich manchmal im ganzen Saal ausbreitete. Als ich das leise Lachen meiner Mutter aufschnappte, konzentrierte ich mich darauf. Das war der Unterschied: meine Mutter.
Normalerweise schlenderte sie im Saal umher und blieb stehen, um sich mit Bekannten zu unterhalten, ganz das Gegenteil meines Onkels, der alle zu sich kommen ließ. Er bewegte sich, und der Raum bewegte sich mit ihm, noch ein Hinweis darauf, wer die Macht innehatte. Im Gegensatz dazu näherte sich meine Mutter immer jeder kleinen Gruppe einzeln, ganz so, als würde sie erst um Erlaubnis bitten, dazustoßen zu dürfen. Heute Abend dagegen strömten die Leute zu ihr. Kleine Gruppen von Frauen im ganzen Saal tuschelten miteinander und beäugten meine Mutter diskret. Dann und wann löste sich eine von ihnen ach so beiläufig und schlich sich an meine Mutter heran, die angesichts all dieser Aufmerksamkeit förmlich glühte.
Ich dachte an Elsas Besuch zurück, den hastigen Aufbruch meiner Mutter. Wenn es eines gab, worin meine Familie unübertroffen war, dann darin, Geheimnisse zu haben. » Ich bin gleich
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