Der Weg in die Dunkelheit 2: Die Wächterin
voll sehniger Muskeln. Seine Unruhe ließ sein kantiges Gesicht weicher wirken. Er beobachtete aufmerksam, wie ich zu dem glänzenden schwarzen Sofa schlurfte.
» Du siehst fürchterlich aus«, sagte er, und obwohl sein Tonfall unbeschwert war, klang die Besorgnis, die darin mitschwang, aufrichtig.
» Danke.« Ich sank in das butterweiche Leder und zog die Füße unter mich.
» Aus der Übung?«
» Vielleicht bist du das ja«, sagte ich. » Bedienungsfehler. Nennt man das so?«
» Mit mir bist du garantiert nicht schlecht bedient«, erwiderte er, und Heiterkeit erhellte seine markanten, exotischen Gesichtszüge. » Und du musst dich schon besser fühlen. Du hast mich gebeten, dich herzubringen, weißt du nicht mehr?«
Ich erschauerte. Die Glastüren zum Balkon standen offen, und obwohl es hier wärmer als zu Hause war, war mir eiskalt. Luc, dem nie etwas entging, bemerkte es und ließ mit einem einzigen schillernden Wort das Feuer im Kamin auflodern.
» Hier.« Er ging in die Küche und kehrte einen Augenblick später mit einer dampfenden Teetasse zurück. » Mit Schuss?« Er machte eine Kopfbewegung zu der Anrichte hinüber, auf der Karaffen aus geschliffenem Kristall standen.
» Nein danke.« Luc brachte meine Gedanken schon ganz allein durcheinander. Ich musste ihm nicht auch noch einen unfairen Vorteil verschaffen. Ich nippte am Tee und wurde mir bewusst, dass Lucs Blick auf mir ruhte, unstet und aus grünen Augen, die mich an Bäume im Sommer erinnerten, warm, schön und verschlossen.
Er setzte sich und streckte den Arm auf der Rückenlehne des Sofas aus. Er berührte mich nicht ganz, aber Wärme strahlte von ihm ab und ließ mich wünschen, ich hätte mich wie eine Katze zusammenrollen können. » In der Kirche war es … nett«, sagte er.
» Es war eine Katastrophe.« Ich atmete den süßen, blumigen Duft des Tees ein und verdrängte die Erinnerung an das, was meine Mutter verkündet hatte, und an Schwester Donnas » große Sorgen«. » Ich bin geliefert. Das weißt du doch, oder? Ich brauche diese Empfehlungsschreiben der Lehrer, um an die NYU zu kommen.«
» Ein Mädchen wie dich nehmen sie mit Kusshand. Aber die Sache mit deinem Vater hat dich ja ziemlich aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich dachte, du würdest auf der Stelle ohnmächtig werden.«
» Das bin ich aber nicht.« Es erschien mir wichtig, ihn daran zu erinnern.
» Ich hätte dich aufgefangen.«
» Was haben die Quartoren gesagt?«
» Bist du sicher, dass du dafür bereit bist? Ich bin ein bisschen besorgt um dich, Mouse.«
» Mir geht es gut.« Sozusagen.
Er stand unvermittelt auf. » Glaubst du, dass du sicher genug auf den Beinen bist, um einen Spaziergang zu machen?«
» Wir sind tausendfünfhundert Kilometer weit gereist, nur damit wir spazieren gehen können? Weißt du, dass wir in Chicago auch Bürgersteige haben? Sogar viele.«
» Es ist eine schöne Nacht. Du könntest meine Stadt kennenlernen. Ich habe schließlich schon genug Zeit in deiner verbracht.«
Widerwillig stellte ich meine Teetasse ab. » Wohin gehen wir?«
Er musterte meine Hände, statt mir in die Augen zu sehen. » Die Quartoren sind bereit, sich auf einen Handel einzulassen. Aber es muss heute Nacht geschehen.«
» Es ist doch erst ein paar Stunden her«, wandte ich ein. » Warum die Eile?«
» Die Lage ist ziemlich ernst. Außerdem … was gibt es da zu bedenken?«
Wir gingen Seite an Seite die schmale Treppe hinab, so nahe beieinander, dass Lucs Hüfte meine berührte.
» Sie mögen mich nicht besonders.«
» Es liegt nicht direkt an dir.« Er blickte leicht verschämt drein, was selten vorkam. » Du bist eben kein Bogen. Und sie halten nicht allzu viel von Flachen.«
» Was für eine Überraschung!« Ich hatte das bereits aus erster Hand erfahren, als die Seraphim versucht hatten, mich in einer Bar voller Bögen umzubringen, und alle anderen einfach darüber hinweggesehen hatten. » Sie sind bigott.«
» Was würde wohl geschehen, wenn sich in deiner Welt herumsprechen würde, dass es uns Bögen gibt?« Wir durchquerten den vertrauten Hof, und der Kies knirschte unter unseren Füßen. Luc öffnete mit einem Wort und einer Berührung das Tor. » Glaubst du, dass die Flachen uns akzeptieren würden? Oder würden sie uns für gefährlich halten? Uns als Hexen bezeichnen? Uns auf dem Scheiterhaufen verbrennen oder unter Steinen zerquetschen? Die Menschheit ist so einiges, aber ganz gewiss nicht tolerant.«
Wir kamen an einem anderen Pärchen auf
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