Der Weg in die Dunkelheit 2: Die Wächterin
ließ mich los. Die Magie fiel von mir ab, und es war mit einem Schlag kälter im Zimmer. Ich zog mir die Hose an, bevor ich mich aus meinem Rock schälte, und tauschte dann schnell meine zerknitterte Bluse gegen ein langärmliges T-Shirt und eine schwere Fleecejacke ein. Einen Moment lang musterte ich die Umrisse von Lucs Schultern, selbstbewusst bis hin zur Arroganz. Er war sehnig und kantig, sogar unter der schwarzen Lederjacke, und man hätte annehmen können, dass man sich an den scharfen Konturen seines Körpers schneiden würde, wenn man ihm zu nahe kam. Aber ich wusste aus Erfahrung, wie mühelos man sich an ihn schmiegen konnte. Das machte ihn allerdings nicht weniger gefährlich. Sein Haar, schwarz wie eine Rabenschwinge, schrie förmlich danach, berührt zu werden. Ich ballte die Finger zur Faust, um mich davon abzuhalten, es zu versuchen.
» Ich bin fertig.«
Er ergriff wieder meine Hand. Die Magie kehrte wie ein Streicheln zurück, und ich taumelte hinein. » Ich hoffe, dir ist warm genug. Es ist zu Fuß ein langer Weg.«
» Wir gehen nicht ins Dazwischen? Wirklich nicht?«
» Ich mag diese Schuhe. Ich will nicht, dass du alles, was du im Bauch hast, darüber ausleerst.« Er hielt meine Hand fest umklammert, und wir schlichen auf Zehenspitzen die Treppe hinab. Es bestand kein Grund zur Heimlichkeit – meine Mutter schlief tief und fest, Colin wusste, dass wir weggingen, und der Verhüllungszauber machte uns unsichtbar –, aber wenn man mitten in der Nacht mit einem Jungen, der aussieht wie Luc, von zu Hause wegspaziert, dann muss man einfach schleichen …
» Wohin gehen wir?«, fragte ich, als wir die Straße erreichten. Es war jetzt kalt, unmittelbar über dem Gefrierpunkt, und ich zog eine Mütze aus der Tasche meiner Fleecejacke.
» Zu einer Freifläche.«
» Wir sind mitten in der Stadt, Luc. Die nächste Freifläche ist ein Golfplatz.«
» Du hast’s erfasst«, sagte er. » Bei solchen Unternehmungen ist es besser, viel Platz zu haben. Wenn etwas schiefgeht, müssen wir uns zumindest keine Sorgen machen, dass wir Passanten treffen oder Sachschaden anrichten könnten.«
» Glaubst du, dass etwas schiefgeht?«
Er blieb stehen. Unter der Straßenlaterne glänzten seine Haare, während seine Augen umschattet waren, aber er streifte meinen Handrücken mit den Lippen. In seiner Stimme lag ein winziger Hauch von Anspannung. » Ich lasse nicht zu, dass irgendetwas dir Schaden zufügt«, sagte er. » Ganz gleich, was du sonst von mir hältst, das solltest du wissen.«
» Das weiß ich auch.« Einen kurzen Moment lang wiegte ich mich in dem Glauben, dass er über mich sprach, über Mo, und nicht nur über das Gefäß, aber ich war mir noch nicht einmal sicher, ob er beides voneinander trennen konnte. Wir gingen weiter.
» Was will Pascal?«
» Ein paar Ideen ausprobieren.«
» Ich bin ein Versuchskaninchen?«
» Es ist schöner, dich als einmalig zu betrachten«, entgegnete er. » Wenn die Dinge anders stehen würden, würdest du Pascal vielleicht mögen. Er war Wissenschaftler, bevor er zum Patriarchen erhoben wurde. Er ist immer noch derjenige, an den wir uns wenden, wenn wir Fragen darüber haben, wie die Magie funktioniert.«
Ich konnte mir Pascal durchaus als Wissenschaftler vorstellen, aber der Gedanke, dass er an mir ein Experiment durchführen wollte, behagte mir dennoch nicht sonderlich. » Wie wählt man eigentlich jemanden zum Quartoren? Du bist der Erbe deines Hauses, nicht wahr? Ist die Quartorenwürde also erblich?«
» Die Sache ist kompliziert«, sagte Luc, während wir darauf warteten, dass eine Ampel umschaltete. » Überwiegend wird die Quartorenwürde an Blutsverwandte vererbt. Manchmal gibt es eine Prophezeiung, aber das kommt selten vor. In Evangelines Fall gibt es keinen offensichtlichen Nachfolger, also können verschiedene Leute kandidieren, und das Haus wird eine Zeremonie abhalten und sich von der Magie zur richtigen Wahl leiten lassen.«
» Also wollte Pascal gar kein Mitglied der Quartoren werden?«
» Das war vor meiner Zeit«, erwiderte Luc. » Aber nach allem, was mein Vater gesagt hat, glaube ich, dass Pascal nicht unbedingt begeistert war.«
Ich fühlte mich Pascal plötzlich verbunden.
Ein paar Minuten lang gingen wir schweigend weiter. Dann und wann warf ich einen Blick auf mein Handy, um zu sehen, ob ich eine Nachricht von Colin hatte, aber der Bildschirm blieb leer.
» Probleme mit Cujo?«
Ich biss mir auf die Unterlippe. » Warum sagst du
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