Der Weg in die Dunkelheit 2: Die Wächterin
ungefähr.«
» Ich habe Rinderbraten zum Abendessen gemacht. Und Kartoffeln. Magst du mit runterkommen, während ich alles auf den Tisch bringe?«
» Ich habe keinen Hunger.«
Sie trat näher heran und legte mir eine kühle Hand auf die Stirn. » Du fühlst dich ein bisschen warm an. Ich hoffe, du hast dir nichts eingefangen.«
» Ich bin müde«, sagte ich und unterdrückte ein gewaltiges Gähnen. » Kann ich das Abendessen nicht auslassen? Es geht mir sicher besser, wenn ich ein Schläfchen halte.«
» Es täte dir aber vielleicht gut, etwas zu essen«, sagte sie tadelnd. » Wir haben auch noch gar nicht unser Gespräch geführt.«
» Mom, bitte. Ich muss mich einfach ausruhen.«
In ihren Mundwinkeln und entlang ihrer Nase bildeten sich kleine Sorgenfältchen. » Wenn du meinst. Colin hat gesagt, er würde dich morgen abholen wie üblich.« Sie beugte sich vor und küsste mich sanft auf die Stirn. » Schlaf ein bisschen.«
Ich verstand seine Botschaft. » Wie üblich« hieß, dass Billy noch keine weiteren Bewacher auf mich angesetzt hatte. Ich wusste, wie ich Colins Worte entschlüsseln musste. Ich kannte seine Stimmungen und Gesten, ich kannte die heimliche Bedeutung seiner Blicke – selbst derer, bei denen ihm gar nicht auffiel, dass er mich damit bedachte –, und ich hatte naiv angenommen, das sei genug. Er hatte gesagt, es würde ausreichen, dass wir einander kannten, und dass seine Vergangenheit keine Rolle spielte. Aber wer auch immer von ihm beschützt wurde, war sehr wohl ein Teil seiner Gegenwart. Solange ich nicht herausfand, was er mir verheimlichte, hatten wir keine Chance.
Nachdem ich nach meinem Handy gegriffen hatte, kramte ich die zerknitterte Serviette mit Jenny Kowalskis Nummer hervor und tippte eine SMS , wobei ich mich bemühte, das Gefühl zu ignorieren, dass ich eventuell Colins Vertrauen missbrauchte. Gerade weil er mir nicht vertraute, musste ich das hier ja tun.
Kapitel 22
Jennys Antwort kam nie an. Während ich darauf wartete, übermannte mich der Schlaf wie eine reißende Flut, düster und erstickend. In meinen Träumen atmete ich Teer ein, und er füllte meinen Körper aus, presste mir das Blut aus den Adern und die Luft aus der Lunge. Je mehr ich dagegen ankämpfte, desto schneller rang er mich nieder. Es ertönte ein Geräusch, als ob etwas zersplitterte. Ich fuhr aus dem Schlaf hoch und sah Luc am Fußende meines Bettes stehen.
» Du solltest eigentlich draußen sein«, flüsterte ich, nachdem ich wieder Luft bekam.
Seine Stimme war so tief, dass ich sie am unteren Ende meiner Wirbelsäule spürte. » Du solltest eigentlich wach sein.«
» Bin ich auch. Gewissermaßen. Was machst du hier drinnen?« Ich warf einen Blick auf die Uhr auf meinem Nachttisch. 10:42. » Ich bin nicht zu spät dran.«
» Ich dachte, es wäre leichter für dich, nach draußen zu schleichen, wenn du ein bisschen Hilfe dabei hättest.«
Ich rappelte mich aus dem Bett auf. Ich trug noch immer meine Schuluniform. Hastig zog ich mir den Rock herunter. Luc hob eine Augenbraue.
» Ich muss schon sagen, ich hatte gehofft, dich im Schlafanzug zu sehen. Oder trägst du keinen?«
» Perversling.«
» So siehst du aber auch gut aus. Mit Kniestrümpfen vielleicht noch besser.« Er kam näher und berührte mich leicht am Ellbogen. Ein winziger Schimmer von Magie stieg um uns herum auf.
» Was tust du da?«
» Du machst viel Lärm. Ich würde deiner Mutter lieber nicht erklären, warum ich hier bin.«
Plötzlich überkam mich eine lebhafte Erinnerung an ein anderes Mal, als er sich verhüllt hatte. Wir waren auf der Vordertreppe gewesen und hatten uns geküsst, und er war einfach … verschwunden. Und hatte mich weitergeküsst wie ein Geist, hatte mit unsichtbaren Händen meine Haut berührt und mit einem Mund, den ich nicht hatte sehen können, eine Reihe von Küssen auf meine Kehle gedrückt. Ich erschauerte bei der Erinnerung.
Ein Verhüllungszauber würde aber nur wirken, wenn er mich berührte, und ich musste mich umziehen. Ich würde unter keinen Umständen in meiner Schuluniform aus dem Haus gehen, wenn ich es mit Magie zu tun bekommen würde. Ich hatte diese Woche schon eine Uniform ruiniert und wollte keinesfalls eine zweite aufs Spiel setzen. Ich schnappte mir eine Trainingshose aus der Kommode und versetzte Luc einen sanften Stoß. » Dreh dich um.«
» Das ist nichts, was ich nicht schon gesehen hätte.«
» Nicht bei mir – da hast du’s noch nicht gesehen. Dreh dich um.«
Er
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