Der Weg in die Dunkelheit 2: Die Wächterin
» Ich bin mir nicht sicher, ob das in Anbetracht dessen, was mir bei der Bundeszeremonie zugestoßen ist, so eine gute Idee ist.«
» Es ist eine ganz kleine Linie. Eine der schwächsten in der Umgebung. Ich werde alles ständig überwachen. Wenn es ein Problem gibt, schließe ich die Linie.«
» Welche Rolle spiele ich?«, fragte Luc, dessen Arme mich noch immer umschlossen.
» Du musst sie unterstützen. Die Prophezeiung deiner Mutter erwähnt die Vier-In-Einem. Das seid ihr beiden. Sie kann es nicht allein tun. Selbst wenn sie es könnte, würde die Magie ohne deinen Beitrag fürchterlich unausgeglichen sein.«
Ich war nicht begeistert von der Vorstellung, Luc für irgendetwas zu benötigen, schon gar nicht nach unserem Schlagabtausch auf dem Weg hierher. Über Pascals Experimente nachzudenken fiel mir leichter. » Das klingt gefährlich.«
» Das ist es auch«, sagte Pascal und schlug das Buch mit einem dumpfen Knall zu. Er wirkte plötzlich weitaus mehr wie ein Patriarch als ein verrückter Wissenschaftler. » Du hast dem Bund zugestimmt, und um die Bedingungen zu erfüllen, wirst du tun, was auch immer notwendig ist, um die Magie auszubessern. Dies hier ist ein notwendiger Schritt.«
» Mein Leben zu riskieren ist ein notwendiger Schritt?«, fragte ich, während Lucs Finger sich um meine Arme schlossen.
» Ich muss sehen, was geschieht, wenn du direkt mit der Magie in Berührung kommst, damit ich mir die passende Vorgehensweise einfallen lassen kann, um sie auszubessern. Die Alternative besteht darin, dich in die Quelle der Magie zu schicken und dich einfach irgendwie hindurchstolpern zu lassen.«
Luc murmelte in mein Haar: » Es ist vielleicht das Beste, mit etwas Kleinem anzufangen, hm?«
» Das Beste« stand hier gar nicht zur Debatte. Alle Optionen, die ich hatte, waren beschissen. Das hatte ich schon gewusst, als ich dem Bund zugestimmt hatte, aber in einer eisigen Novembernacht am achten Loch zu stehen, machte dieses Wissen weitaus realer und auch weitaus erschreckender.
Ich drückte Luc die Hand und zog Kraft aus der Tatsache, dass er nicht zulassen würde, dass mir etwas Schlimmes zustieß. Er erwiderte meinen Händedruck, und ich nickte Pascal zu.
» Fangen wir an«, sagte Pascal.
Um uns herum standen die Bäume wie dunkle, stumme Wächter. Das Gras unter unseren Füßen war dicht und federnd und wirkte im Mondlicht fast schwarz. Pascal wartete ab, bis ein vorüberkommender Güterzug davongerumpelt war. Als das Geräusch verklang, stimmte er einen Sprechgesang an und machte die Linie sichtbar. Ihre Oberfläche schillerte wie Quecksilber, ein schmaler Faden, der im Gleichtakt mit meinem Herzschlag zu pulsieren schien. Die Linien, mit denen ich es bei der Sturzflut zu tun gehabt hatte, waren dicke Taue gewesen, die unter meiner Berührung Wellen geschlagen hatten und weit schwieriger zu beherrschen gewesen waren. Ich verdrängte meine Nervosität, schloss eine Hand um die Linie und gestattete ihrer Energie, in mich hineinzuströmen.
Die erste Berührung war rauschhaft, erschütternd, aber zugleich fast beglückend. Ich spürte eine kühle Erdlinie von solider Konsistenz unter meinen Fingern. Ich öffnete mich behutsam ein wenig mehr, und die Kraft glitt reibungslos durch meine Adern.
» Die Linie ist gesund. Daran ist nichts verkehrt«, sagte ich. Ich hatte erwartet, irgendeine Form von Gebrochenheit zu spüren. Während der Sturzflut waren die Linien unter meinen Fingern verwittert und hatten im Wegbröckeln rohe Magie freigesetzt. Aber diese Linie war gut gefüllt und üppig, fest in ihrem Element verwurzelt.
» Gut«, sagte Pascal. » Versuch, die Kapazität zu steigern.«
Ich benötigte seine Anweisung nicht – die Magie überschlug sich bereits und zerrte an der glühfadengleichen Linie. Ich griff auf Lucs Kraft zurück, um sie zu stärken. Die tonähnliche Oberfläche gab unter meiner Berührung nach, und ich versuchte, sie umzuformen, und arbeitete so schnell ich konnte. Nicht schnell genug.
Die Magie löste die Linie Stück für Stück auf, wie die Flut an den Fundamenten einer Sandburg leckt, die langsam bröckelt und zusammenbricht, bevor sie ganz weggespült wird. Sie entglitt in winzigen, unheilvollen Schritten meiner Kontrolle. Neben mir zitterten Lucs Muskeln, als er seine Kraft in unsere Verbindung einspeiste.
Das hier war nicht richtig. Sie hatten mich vorgewarnt, dass die Magie mittlerweile stärker war, aber jetzt war sie mehr als kraftvoll – sie war hungrig, alles
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