Der Weg in die Dunkelheit 3: Die Schöpferin (German Edition)
Sonnenschein hinausgetreten. » Hallo.«
» Hallo.« Er beugte sich zu mir und küsste mich gemächlich und gründlich. Ich ließ die Hände unter seine Jacke gleiten, spürte abgetragenen Flanell, feste Muskeln und Geborgenheit. Am Ende wich er zurück, musterte mich und strich mir mit dem Daumen am Kiefer entlang. » Schlechter Tag?«
Natürlich wusste er es. Colin kannte mich besser als irgendjemand sonst. Es hatte keinen Zweck, auch nur zu versuchen, etwas vor ihm zu verheimlichen, und deshalb tat ich es auch fast nie.
Aber » fast« ist ein sehr dehnbarer Begriff.
Ich hatte in den letzten sechs Monaten so viel Böses gesehen: Mörder, Verrückte, Verrat und Gier. Manchmal glaubte ich, dass ich daran zerbrechen würde.
Aber verglichen mit Colins Vergangenheit, war alles, was ich erlebt hatte, das reinste Märchen.
Seine Geschichte dagegen war schrecklich, schrecklich wahr. Er und seine Geschwister waren jahrelang von ihrem Stiefvater misshandelt worden, aber eine Auseinandersetzung mit dem Jugendamt hatte den Mann schließlich völlig durchdrehen lassen. Er hatte Colins Mutter und seinen Bruder getötet und seine kleine Schwester so fürchterlich zusammengeschlagen, dass sie einen Hirnschaden davongetragen hatte. Er hatte erst aufgehört, als der elfjährige Colin ihn erschossen hatte.
An der Stelle war mein Onkel ins Spiel gekommen. Er hatte den Stiefvater gekannt– der Kerl war ein niederrangiger Geldeintreiber für die Mafia gewesen. Als Billy gehört hatte, was geschehen war, hatte er sich eingemischt, seine Verbindungen spielen lassen, um die Angelegenheit zu vertuschen, die eine Schlagzeile auf der Titelseite wert gewesen wäre, und hatte Colin und seine Schwester Tess nach Chicago geholt. Nach Angaben der Ärzte war Tess’ katatonischer Zustand teilweise körperlich, teilweise psychisch bedingt und höchstwahrscheinlich irreversibel. Also hatte Billy sie in ein Pflegeheim gebracht, die Rechnungen bezahlt und dafür gesorgt, dass sie in Sicherheit und gut versorgt war. Seitdem war Colin meinem Onkel treu ergeben gewesen.
Bis wir einander begegnet waren.
Es war kein Wunder, dass Billy nichts von unserer Beziehung hielt. Ein Bodyguard war eines, ein Geliebter etwas ganz anderes. Das Einzige, was Colin noch am Leben hielt, war der Handel, den ich mit meinem Onkel geschlossen hatte, nachdem er uns auf die Schliche gekommen war– Colins Leben und Tess’ Weiterversorgung im Tausch gegen mein Versprechen, nach dem Schulabschluss in Chicago zu bleiben und für die Mafia zu arbeiten.
Das war das Einzige, was Colin unter keinen Umständen je erfahren durfte. Der Tag, an dem er erfuhr, was ich herausgefunden und getan hatte, würde zugleich der Tag sein, an dem er mich verließ. Ich hatte schon einiges überlebt, aber ich war mir nicht sicher, ob ich es auch überleben würde, von Colin gehasst zu werden.
» Mo?« Er stieß mich leicht an. » Ist etwas passiert?«
Ich konnte Jennys Besuch nicht erwähnen, aber es gab dennoch reichlich zu erzählen. » Versprichst du mir, nicht durchzudrehen?«
» Sehr beruhigend. Hat es etwas mit der Magie zu tun?«
Ich verknotete die Finger ineinander. » Die Seraphim. Sie haben mich beim Mittagessen überfallen.«
» In aller Öffentlichkeit?« Er klang ungläubig.
» Ich nehme an, sie sind längst darüber hinaus, diskret vorgehen zu wollen.«
Er runzelte die Stirn und ließ den Truck mit ruckartigen Bewegungen an, während er darüber nachdachte, was das zu bedeuten hatte. » Ins Morgan’s oder nach Hause?«, fragte er.
» Morgan’s.« Die Bar meines Onkels war der letzte Ort, an dem ich sein wollte. Mit Colin auf dem Sofa zu kuscheln wäre weitaus reizvoller gewesen, aber ich hatte ein Versprechen abgelegt, und Colins Leben hing davon ab, ob ich es hielt.
» Du bist nicht verletzt«, sagte er unterwegs.
» Ich habe bloß Kopfschmerzen.« Seine Hände zuckten, und ich versicherte ihm schnell: » Normale Kopfschmerzen, ich schwör’s!«
» War Luc dabei?«
» Niobe ist am Ende hinzugekommen, aber ich hatte es unter Kontrolle.«
Er warf mir mit hochgezogenen Augenbrauen einen Blick zu. » Wirklich?«
» Ich hatte keine Zeit, auf Hilfe zu warten.«
Er holte tief Luft. » Wir müssen dich da rausholen. Dich irgendwo verstecken.«
» Wo soll ich schon hingehen? Die Magie ist überall. Davor kann ich mich nicht verstecken. Und ich lasse sie auch nicht im Stich.« Das wusste ich mit völliger Klarheit. Es ging nicht darum, aus der einen Welt in die andere
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