Der Weg in die Dunkelheit 3: Die Schöpferin (German Edition)
zu flüchten, sondern darum, eine Balance zwischen meinem Bogenleben und meinem Flachendasein herzustellen. » Einmal angenommen, ich verstecke mich. Du bringst mich irgendwo unter, wo die Bögen mich niemals finden würden. Würdest du mitkommen?«
Es war erstaunlich, wie er sich selbst in einem so winzigen Raum wie dem Fahrerhäuschen seines Trucks noch weiter zurückziehen konnte. » Das haben wir doch schon besprochen. Ich verlasse Chicago nicht.«
Natürlich würde er das nicht tun. Er konnte Tess nicht zurücklassen. Wenn ich wollte, dass sie weiter in Sicherheit waren, konnte ich ebenfalls nicht fortgehen.
» Dann bleibe ich auch.«
» Tu das nicht«, sagte er. » Geh nach New York, so wie du und Verity es geplant hattet. Oder wir finden einen Ort, an dem du dich vor den Bögen verstecken kannst. Aber bleib nicht meinetwegen hier.«
Ich versuchte, aus dem Fenster zu schauen, aber es war zugefroren und verdeckte den vertrauten Anblick meines Viertels: den Ersatzteileladen, die Reinigung, die Versicherungsagentur. Ich kratzte mit dem Daumennagel am Fenster und konzentrierte mich auf die Linien statt auf den Schmerz, den seine Worte in mir auslösten. » Du willst, dass ich gehe?«
» Ich will, dass du in Sicherheit bist. Wenn du hierbleibst, verstrickst du dich unweigerlich in Billys Welt. Du hast etwas Besseres verdient.«
» Ich habe es verdient, eigene Entscheidungen zu treffen«, sagte ich. » Warum darfst du darüber bestimmen, was das Richtige für mich ist?«
» Weil ich dich liebe.«
Ich wirbelte zu ihm herum, erst schockiert, dann erregt, im Freudentaumel, so dass nur mein Sicherheitsgurt mich davon abhielt, mich quer durch das Fahrerhäuschen auf ihn zu stürzen.
Er warf einen Blick in den Rückspiegel, wechselte die Spur und sah mich dann an. » Was ist? Das wusstest du doch schon.«
» Du hast es nie gesagt. Nicht wirklich.« Er hatte die Worte selbst nie ausgesprochen, sondern sie so zurückgehalten, wie er die Wahrheit über seine Vergangenheit zurückhielt, und ich hatte angenommen, dass es dabei bleiben würde. Also hatte ich sorgfältig darauf geachtet, es auch nicht auszusprechen, weil ich Angst gehabt hatte, dass es nur übel ausgehen könnte, wenn wir über unsere Zukunft redeten. Doch wir waren einfach in dieses Gespräch geraten wie in einen Fluss, dessen gefährlichste Strudel und Felsen unter der Oberfläche verborgen lagen. Bei einer solchen Diskussion mussten wir sorgfältig navigieren oder das Risiko eingehen, in kleine Stücke zerschmettert zu werden. Seine Worte fühlten sich an, als hätte jemand mir einen Rettungsring zugeworfen.
Er zuckte mit einer Schulter, aber die Art, wie seine Augen zwischen mir und der Straße hin und her huschten, verriet seine Nervosität. » Jetzt habe ich es gesagt. Ändert das etwas?«
Ich hakte mich bei ihm ein. » Ja, du Blödmann.«
Er liebte mich. Vielleicht konnte ich ihm die Wahrheit über das sagen, was ich getan hatte, und er würde mir vergeben. Man vergab doch den Menschen, die man liebte, nicht wahr? Sagte meine Mutter das nicht immer? Vielleicht würde es doch noch gut mit uns ausgehen.
Er parkte ein paar Türen vom Morgan’s entfernt. » Heißt das, dass du jetzt auf mich hörst?«
» Das kommt darauf an, was du sagst, schätze ich.« Ich schnallte mich los und rutschte über die Sitzbank, bis ich nahe genug bei ihm war, um die Bartstoppeln an seinem Kiefer zu sehen, die golden, karamellbraun und rötlich glänzten. Seine Haut roch nach Ivory-Seife und Kiefernspänen.
Er legte mir eine Hand um den Nacken und sah mir in die Augen. » Ich liebe dich. Ich will, dass dir nichts zustößt. Ich will, dass du glücklich bist.«
» Ich bin sehr glücklich.« Und wurde mit jeder Minute glücklicher. Seine Worte brachten mein Blut in Wallung.
» Aber du bist nicht in Sicherheit.«
» Ich bin nicht mehr in Sicherheit, seit Verity gestorben ist. Du kannst mich nicht irgendwohin abschieben. Ich bin nicht…« Ich bin nicht Tess, hätte ich beinahe gesagt, aber ich fing mich rechtzeitig. Es war noch zu früh zu enthüllen, dass ich über Tess Bescheid wusste. » Ich bin nicht bereit wegzugehen.«
Er zog mich näher heran, auf seinen Schoß, und presste den Mund auf meinen. Das Steuerrad drückte sich in meinen Rücken, aber ich bemerkte es gar nicht, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, die Hände unter seine Carhartt-Jacke zu schieben und seine Erregung an der Art zu spüren, wie sich seine Muskeln unter meinen Fingern
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