Der Weg in die Dunkelheit 3: Die Schöpferin (German Edition)
kann?« Sie wandte sich an mich. » Du könntest zu Hause leben und die Ausgaben für Miete und Verpflegung einsparen.«
» Ich glaube nicht, dass ich zu Hause leben werde«, sagte ich schnell. Ich hatte mich zwar bereit erklärt, in der Stadt zu bleiben, aber nichts an meiner Abmachung mit Billy schrieb vor, dass ich hier leben musste. Ich hatte die Phantasievorstellung, mit Colin zusammenzuleben, aber das kam mir mit jedem Tag unrealistischer vor.
Colin war still, und ich stieß seinen Fuß an, um ihn dazu zu bringen, mich anzusehen. Als er es tat, war sein Blick steinhart und undurchschaubar.
» Sie wird nach New York gehen, weil dort ihre Zukunft liegt«, sagte mein Vater. » Nicht hier. Findest du etwa, dass sie weiter für Billy arbeiten soll? Das stellst du dir also für sie vor?«
» In New York kennt sie doch keine Menschenseele, und es kann da alles Mögliche passieren. Ich glaube nicht, dass es besonders sicher ist.«
» Das ist Chicago auch nicht.« Im Tonfall meines Vaters lag eine Schärfe, die ich noch nie zuvor gehört hatte, und meine Mutter zuckte auf ihrem Stuhl zusammen.
» Sie hat ihre Familie«, sagte sie mit zitternder Stimme. » Du bist gerade erst nach Hause gekommen, und jetzt willst du sie ganz allein durchs halbe Land schicken? Wer soll da auf sie aufpassen?«
Colins Schweigen war ohrenbetäubend.
» Mom, du regst dich über nichts und wieder nichts auf!«
» Es ist nicht nichts!« Ihr kamen die Tränen. » Ich habe noch nie etwas von dieser Idee gehalten, nach New York zu gehen. Nie. Warum redest du ihr auch noch zu, Jack? Du weißt doch, dass ich nicht dafür bin.«
» Wenn sie hingehen kann, sollte sie es tun. Es ist ein Neuanfang.« Er nahm sich noch mehr Schmorbraten und versuchte, trotz seines verkrampften Griffs um die Auffüllgabel lässig zu wirken. Ich verspürte eine unerwartete Aufwallung von Dankbarkeit– er würde nicht klein beigeben, ganz gleich, wie sehr sich meine Mutter daran störte. Aber er wusste über den Handel Bescheid, den ich mit Billy geschlossen hatte. Er wusste, dass ich in der Falle saß. Weshalb drang er so darauf, dass ich fortgehen sollte?
» Warum bist du im Moment so versessen auf Neuanfänge?«, fragte meine Mutter. » Wir haben unseren doch schon bekommen. Wie viele brauchen wir denn noch?«
Aus meiner Perspektive war das alles nicht gerade ein Neuanfang, eher Geschichte, die sich wiederholte: Mein Vater arbeitete für Billy, und ich trat in seine Fußstapfen. Ganz gleich, welche Gründe ich hatte, ich tat dasselbe wie er vor all den Jahren. Was hatte Luc einmal zu mir gesagt? Was wir an anderen Menschen am meisten hassen, ist gewöhnlich das, was wir an uns selbst hassen.
Er hatte recht gehabt, und dieses Wissen ließ mich wünschen, ich hätte den Kopf einfach auf den abgenutzten Resopaltisch legen und weinen können.
Aber das tat ich nicht. Stattdessen sah ich Colin in die Augen. » Im Moment plane ich, auf die University of Chicago zu gehen.«
Er kochte stumm, aber später würde er so einiges zu dem Thema zu sagen haben. Ich versuchte, mir etwas einfallen zu lassen, um die Diskussion so lange wie möglich aufzuschieben. Wieder ging einer dieser undurchschaubaren Blicke zwischen Colin und meinem Vater, der ebenfalls schwieg, hin und her.
Meine Mutter langte über den Tisch und tätschelte mir die Hand. » Ich bin so stolz, mein Schatz! Und mach dir ja keine Sorgen um das Geld. Wir finden schon einen Weg.«
Ich versuchte zu lächeln, konnte mich aber einfach nicht dazu zwingen. Wir brachten das Abendessen schnell und schweigend zu Ende, als ob jedes Gespräch über etwas anderes als die Wettervorhersage für die kommende Woche zu einer neuerlichen Auseinandersetzung führen würde. Im selben Augenblick, als meine Mutter aufstand, um den Tisch abzuräumen, schob mein Vater seinen Stuhl scharrend zurück. » Ich muss noch kurz los.«
Meine Mutter drehte sich verblüfft um, immer noch die Platte mit Schmorbraten und Gemüse in der Hand. » Jetzt? Wir haben noch gar keinen Nachtisch gegessen. Ich habe Bratäpfel gemacht.«
» Ich bin nicht lange weg. Heb mir einen auf.« Bevor sie weiter protestieren konnte, umschloss er ihr Gesicht mit den Händen und küsste sie innig. Ich starrte auf meine Schuhe, während Colin sich damit beschäftigte, eingehend den Fensterkitt zu mustern. » Ich liebe dich, Annie.«
» Ich dich auch, du unmöglicher Kerl!«
Mein Vater war schon weg, bevor sie auch nur die Platte abstellen konnte.
» Nun
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