Der Weg in Die Schatten
Lastenaufzugs starr fixierten, zwang Will sich zu einer lockeren Haltung. Etwas entspannter, vermied er tunlichst, den immens fetten Mann neben sich anzusehen. Dabei wurde er weniger von der unmenschlichen Körperfülle, sondern von der kurzen, stoppeligen Irokesensichel und den Schweißbächen abgestoßen, die Porky sogar dann produzierte, wenn er einfach nur dastand. Der Fette jammerte weiter.
»Sie werden mich schnappen, und dann tun sie mir weh.
Grabschändung ist mehr was für Meg … für Meg und dich.
Ich will das nicht machen, das ist irgendwie ekelhaft. Einem Toten die Computerzeit aus seinem Terminal zu klauen … das ist einfach ekelhaft. Findest du das nicht auch ekelhaft?«
»Er hat keine Verwendung mehr dafür. Wir schon.«
Will zuckte die Achseln, und der Nylontragegurt seiner Universal‐Umhängetasche warf sein drillichgrünes Arbeitshemd am Kragen in Falten. Er rückte die Tasche mit ihren Rollen und Pinseln gerade und trat gegen den kniehohen Stapel farbbespritzter Abdeckplanen. »Mit Megs Cyberware ist es selbst für dich ein Klacks. Du stöpselst dich ein, änderst den Kontostand und aus.«
Porky saugte an seinen dünnen roten Lippen. »Meg Motley müßte das machen. Ich bin kein Decker wie sie. Ich versaue den Run bestimmt.« Sein Tonfall hob sich zu einem Heulen.
»Ich kann das nicht!«
»Du kannst. Und du mußt.« Wills Stimme hatte in dem säuerlich riechenden Aufzug einen entschlossenen Unterton.
»Mad Meg ist wieder durchgedreht. Sie hat uns den Auftrag zugeschanzt, Yoshimuras Büro zu streichen, und ist dann um Mitternacht nach Süden abgehauen. Also liegt es an dir und mir, und ich bin überhaupt kein Decker. Du hast ihr beim letzten Run Deckung gegeben, also weißt du, wie’s läuft.«
»Das ist es ja!« Porky Pryne stampfte mit dem Fuß auf, daß der Fahrstuhl erbebte. »Ich hab das noch nie alleine gemacht!
Klar, ich war schon in der Matrix, aber noch nicht so! Die echten Decker fressen mich bei lebendigem Leib!«
Mit einem boshaften Grinsen auf den Lippen drehte Will sich zu Pryne um. »Da müßten sie aber erstmal das Fett auslassen.«
Porky hob die Augen zur Gitterrohrdecke und flehte die Geister um Mitleid und Erbarmen an. »Ach, Will, du hast gesagt, du würdest nicht mehr auf mir rumhacken. Das ist nicht nett. Du weißt, daß ich nichts dafür kann! Es sind die Drüsen, und ich spare doch, um sie in Ordnung bringen zu lassen. Ich brauche keine Klingen und keinen Chrom, nur eine kleine Operation. Es ist gar nicht nett, auf mir rumzuhacken, wo ich doch gar nichts dafür kann.«
Wills Lippen zuckten, während er sich überlegte, wie er eine Entschuldigung formulieren sollte. Er gab es auf und begnügte sich mit einem weiteren Achselzucken. Porky Prynes Körperfülle ging weit über das hinaus, was jeder normale Mensch ›fett‹ nannte. Daß Porky durch eine Tür paßte, war wirklich erstaunlich. Sein Bauch quoll nicht nur über den Gürtel, sondern verbarg seine Oberschenkel und hatte kürzlich Vorstöße in die Knieregion unternommen. Die Oberarme waren so dick wie ein kleiner Junge und endeten in zappeligen, wurstfingrigen Händen, die in Proportion wie die eines kleinen Kindes aussahen. Um alles noch schlimmer zu machen, war Porky fast zwei Meter groß.
Will schloß die Augen und konzentrierte sich auf den Schwung seines Schicksalsrades. Er bestätigte, daß Porky Pryne der richtige Mann für den Job war. Erdrot und Sonnengold des Medizinrades wirbelten umher, eine animierte Sandkritzelei, das Mandala eines Magiers. In der Mitte des Rades stöpselte sich ein Schwein mit Meg Motleys heißem Cyberdeck in die Matrix ein, während sich die Mauern Natural Vats um es drehten wie Zahnräder. Will Grey fragte sich erneut, ob ihm der alte Coyote nicht wieder einmal einen besonders raffinierten Streich spielte, indem er ihn zu diesem Run animiert hatte.
Will lächelte sein strahlendes Hundelächeln. »Porky, ich hab ‘ne Menge Vertrauen zu dir.« Er legte dem Fetten den Arm auf die Schulter, wobei er sich zwingen mußte, nicht vor der schweißigen Feuchtigkeit seines Hemdes zurückzuzucken.
»Du mußt auch ziemlich viel Selbstvertrauen haben, sonst wärst du doch gar nicht hier.«
»Ich wäre lieber woanders, Will. Das sage ich doch schon die ganze Zeit.«
Will nickte wissend. »Ja, klar, weiß ich ja, aber Tatsache ist, du bist hier. Du bist mitgekommen, und du weißt auch, warum. St. Bart. Das hier ist die perfekte Rache an St. Bart.«
Pryne
Weitere Kostenlose Bücher