Der Weg in Die Schatten
das Gehirn der Gesellschaft.« Damit rief er herzhaftes Gelächter hervor, jedoch nahmen die meisten Turtles Vorschlag sehr ernst. Der Fremde hatte ihnen in dieser Nacht das Leben gerettet, und sein natürliches Charisma besorgte den Rest.
»Wieso nicht?« fragte Shadaman. »Online!« stimmte StrangeDos zu. »Du kriegst meine Stimme!« sagte Vicious Sid, einer der zusätzlichen Leute, die sich ganz am Schluß zu uns gesellt hatten. Selbst Troog fügte sich. Mit der eigenen Gang hatte Turtle sich nun sowas wie eine Machtbasis verschafft.
Er drehte sich zu mir um und lächelte müde. »Na, Flut, wie wär’s mit einer weiteren Lesung? Was halten die Karten für uns bereit?« Er betonte das vorletzte Wort auf eine Art, die mein Herz in Aufregung versetzte. Als ich in die Tasche langte, um das Tarotspiel hervorzuholen, hatte ich das deutliche Gefühl, daß diese Lesung weit glücklicher ausfallen würde als die letzte.
TOM DOWD
Free Fall
Übersetzt von Thomas Schichtel
New York, Vereinigte Kanadische und Amerikanische Staaten - auf einer Sternenbanner‐Satellitenkonferenz verkündete gestern Scott Mislan, Image‐Koordinator von MegaMedia, den Verkauf der fünfzigmillionsten Ausgabe von Free Fall. Mit Free Fall, der Simsinn‐Disk, die nach Meinung von Medienexperten den Markt schuf, begann vor vier Jahren, also 2046, die Karriere ihrer Hauptdarstellerin Honey Brighton.
Mislan gab gleichzeitig bekannt, daß an Rock Solid, die nächste Honey‐Brighton‐Simsinn, gegenwärtig in den Seattler Studios von MegaMedia letzte Hand angelegt würde, und das unter Leitung des berühmten Regisseurs von Free Fall, Witt Lipton. »Wir rechnen fest damit, daß Rock Solid innerhalb eines Jahres den Verkaufserfolg von Free Fall übertreffen wird«, sagte Mislan.
In den matt erleuchteten Räumen der Technik, in denen die Simsinn‐Programme hergestellt werden, ist Witt Lipton ein Gott. Es ist eine Welt der Suggestionen, Impressionen und falschen Bilder, eine Welt, in der Unterschwelligkeit und Direktheit Hand in Hand gehen. Die Fax‐Werbespots schreien hinaus: ›Die Erfahrung eines ganzen Lebens!‹ ‐ ›Dabei sein, wenn es passiert!‹ ‐ ›Spüren Sie die Erregung! Hören Sie Ihren Puls rasen! Frei sein wie ein Vogel! Alles, ohne aus dem Wassersessel aufzustehen!‹ Und das Publikum glaubt es.
Wenn Honey viertausend Meter tief stürzt, an der Fallschirmleine zieht und nichts passiert, glaubt das Publikum, daß der kurze, alles durchdringende Blitz sexueller Ekstase echt ist, den Honey/das Publikum dann verspürt. Witt Lipton weiß es besser. Er weiß, daß die Erfahrung so echt ist, wie sie der d rei Millionen Nuyen teure Yamaha‐SSX-7500‐Signalprozessor von MegaMedia gestalten kann.
Vor fünf Jahren war er Assistenzprogrammierer und Kofferträger für die alten Herren von Produzenten, die die Technologie sinnlicher Simulation am ehesten für Reiseberichte geeignet hielten. Alle hatten Angst davor, es zu weit zu treiben, es zu echt zu gestalten. Witt und ein bereitwilliges Starlet demonstrierten ihnen, wie man es echter als echt machte! Er verwandelte MegaMedia in das bedeutendste Telekom‐Unternehmen seiner Generation. Er wurde reich belohnt, aber die Leute, die das Sagen haben, sind Pinkel, keine Künstler. Witt erinnert sich an die Zeit, als Simsinn‐Programmierung noch ungelenk war, eine Kunst für Wagemutige, nichts, was aus vorgefertigten Sequenzen und Mustern bestand. Damals, bevor man von ihm erwartete, alle 137 Sekunden einen Triebimpuls zu liefern. Am deutlichsten erinnert er sich an jene Zeit, wenn er still in seinem Arbeitszimmer sitzt und die Finger immer wieder vorsichtig in sein pures Absolute Platinum taucht.
Witt Lipton hat eine Idee, und er hofft, jemand wird bereit sein, für diese Idee zu töten.
Ich hustete einmal leise hinter vorgehaltener Hand und beobachtete, wie Raphaels Bewußtsein von welch fernem Gestade auch immer zurückkehrte, das es bereist hatte. Dann fuhr ich fort; »Seit MegaMedia während der Februar‐Kampagne Resnick verloren hat, halten sie dort ihr kreatives Personal schwer unter Verschluß.«
Gleich links von mir fuhr sich Allyce mit einer Hand durchs lange blonde Haar. Für jemanden, der eine Arbeit wie unsere tut, war es ein riskanter Luxus, die Haare schulterlang zu tragen. »Ist es wirklich so schlimm?« fragte sie, und ihre Augen huschten zwischen mir und Rafe hin und her. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Künstlertypen mit Wachhunden
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