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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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erkennen. Er setzte die Pfeife an die Lippen und pfiff schrill. Das war das Zeichen für seine Krieger, zum Angriff mitten im Dorfe anzusetzen. Aber eben, als er gepfiffen hatte und der Ton noch kaum verklungen war, erschallte auch der Kriegsruf der Dakota, und ein Mann, der um nichts kleiner war, stand neben dem Pani. Der Oberkörper dieses Mannes war nackt; er trug keinen Schmuck, keine auszeichnende Feder. Das Haar war in Zöpfe geflochten. Der Mann war ein Hüne von Gestalt und hatte eine starke, vollklingende Stimme. Weiße Rose und Uinonah erkannten ihn sofort.
    »Mattotaupa«, flüsterten sie.
    Während der Dakota den Kriegsruf ausstieß, hatte er schon seine Keule geschwungen, und der Pani, von dem Auftauchen des Gegners überrumpelt, brach unter dem ersten Schlag zusammen. Ein schriller Siegesruf gab bekannt, daß der Häuptling der Pani unterlegen war. Der Dakota nahm die Pfeife auf, die seinem besiegten Gegner entfallen war, und pfiff jetzt seinerseits zum Angriff.
    Die Männer der Bärenbande eilten herbei. Es gab für sie kein Zögern und keinen Zweifel; sie folgten den Befehlen des Mannes, dem sie zu folgen gewohnt waren und der in dem gefährlichen Augenblick richtig und erfolgreich gehandelt hatte. Der Kampf zog sie sogleich vom Dorfplatz und von den Zelten weg, da die Pani, die hierher vorgedrungen waren, das Weite suchten.
    Ihren bewußtlosen Häuptling trugen sie mit. Es hätte als große Schande gegolten, ihn im Stich zu lassen.
    Draußen auf der Prärie krachte noch einmal das Mazzawaken. Rufe und der Galopp der beiden Pferde waren wieder zu hören und ließen vermuten, daß sich die Pani zerstreuten und die Verfolgung sich dahin und dorthin zog.
    Als nach dieser Schreckensnacht die Sonne endlich wieder aufging, standen die beiden Mädchen mit den anderen Frauen und Kindern zusammen zwischen den rußgeschwärzten Zelten, den verkohlten Wiesen, selbst aschebestäubt. Es fiel niemandem mehr auf, daß sie sich zu Beginn der Nacht das Gesicht im Zelte mit Asche gefärbt hatten; alle sahen jetzt so aus wie sie. Ringsumher war die Prärie nichts als der Überrest einer riesigen Brandstätte, nur nördlich des Baches stand noch das sonnenverdorrte Gras.
    Da nirgends mehr etwas von kämpfenden, fliehenden oder verfolgenden Kriegern zu sehen war, weder Feind noch Freund, begaben sich die Frauen und Kinder zum Bach, um zu trinken und sich so gut wie möglich zu reinigen. Dann schauten sie in ihre Zelte. Im äußeren Ring waren einige angekohlt, im inneren Ring, am Dorfplatz, war alles unversehrt. Aus dem Zauberzelte drangen dumpfe Töne. Der Geheimnismann »sprach mit den Geistern«. Die Flinte und das Goldkorn, die an der Stange vor dem Eingang des Zauberzeltes gehangen hatten, waren verschwunden.
    Uinonah und Weiße Rose standen noch lange auf dem Dorfplatz beieinander. Auch die anderen Knaben und Mädchen mochten sich trotz Übermüdung und Erschöpfung nicht in die Zelte begeben. Tschetan ging an Uinonah vorbei, sah sie freundlich an und sagte: »Ich gehe auf den Hügel, um zu sehen, ob unsere Krieger zurückkommen ­ ob sie alle zurückkehren, alle, die gekämpft haben ­ verstehst du mich?«
    »Ich verstehe dich, Tschetan.«
    Verfolgte und Verfolger, die vom Pferdebach aus nicht mehr zu sehen waren, hatten sich westwärts bewegt. Weder die einen noch die anderen hatten ihre Pferde zur Hand. Daher spielten sich Flucht und Verfolgung im Dauerlauf und als eine Art Versteckspiel zwischen den Bodenwellen der ansteigenden Prärien ab, bei dem es auf Geschicklichkeit und schnelle Entschlußkraft ankam. Sehr oft wußten weder die einen noch die anderen, wo die stets wechselnde Kampflinie eigentlich verlief; sie hatten bald Freunde vor, bald hinter sich, und so erging es ihnen auch mit den Feinden.
    Die beiden einzigen, die beritten waren, Mattotaupa und Harka, jagten auf ihren Mustangs weit voran westwärts und wurden von keinem mehr gesehen. Mattotaupa nahm sich auch nicht die Zeit, dem Knaben zu erklären, was er vorhabe. Er trieb sein Tier nur immer wieder zur Eile an, und der Grauschimmel folgte dem Fuchs, ohne Boden zu verlieren. Harka machte sich im stillen seine Gedanken über das Ziel des Rittes. Im Westen, in den Wäldern, befanden sich die Pferde der Pani. Wenn es gelang, die Wächter zu vertreiben oder zu überwältigen, konnte man die Pferde in die Prärien hinausjagen und die Pani dadurch ebenso berauben, wie es der Bärenbande geschehen war. Oder, noch besser, man konnte die Mustangs der Pani

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