Der Weg in die Verbannung
daß ihr euch Pferde eingefangen habt!«
Der Alte Rabe kaute wieder leer. »Gibt es noch etwas zu sagen?« fragte er schließlich.
»Von mir aus nicht«, antwortete Mattotaupa. »Was sagt ihr?«
»Du hast den Kampf gut und richtig geführt, das sage ich«, sprach der Alte Rabe, ganz langsam. Er überlegte jedes Wort. »Was willst du noch von uns? Bist du gekommen, um uns den Knaben zurückzubringen, der in unsere Zelte gehört?«
Als Harka diese Frage vernahm, wurde ihm kalt. Mattotaupa, erschöpft bis zur völligen Ermattung, bleich, rußbeschmiert, mit offenen Wunden, die er noch gar nicht beachtet hatte, faßte den Sprecher fest ins Auge: »Ich habe Harka Steinhart Wolfstöter Bärenjäger nicht weggeholt, und also kann ich ihn auch nicht zurückbringen; er entscheidet selbst. Was ich aber von euch will, das ist die Wahrheit! Die Wahrheit will ich. Die Wahrheit sollt ihr anerkennen! Ich bin unschuldig. Habe ich im Kampf mit den Pani wie ein Häuptling der Bärenbande gehandelt?«
Der Alte Rabe senkte bekümmert den Blick.
Alte Antilope aber sprang jetzt vor. »Heute und gestern hast du wie ein Häuptling gehandelt«, rief er, »das wird keine Zunge leugnen! Aber hast du es immer getan? Du bist nicht verbannt, weil du nicht tapfer warst. Tapfer bist du, das wissen alle Männer der Bärenbande. Aber obgleich du tapfer bist, hast du uns verraten, uns eingetauscht gegen Geheimniswasser! Den Langmessern hast du uns preisgegeben mit deinem Geschwätz, und deine eigenen Krieger hast du zuschanden und zum Gespött gemacht! Nie wieder darfst du unsere Jagdgründe betreten. Wir haben geglaubt, daß du dich dem Spruche der Ältesten beugst, und darum schenkten wir dir das Leben. Aber du hast wider den Beschluß gehandelt, und wenn ich dir in unseren Jagdgründen begegnet wäre, so würde ich dich getötet haben. Ich habe gesprochen, hau!«
Der Sprecher verstummte. Mattotaupa starrte ihn lange an. Dann ließ er den Blick von einem zum anderen gehen. Aber keiner brachte mehr ein Wort hervor. Nicht ein einziger öffnete mehr die Lippen. Keiner wagte es, sich zu Mattotaupa zu bekennen, und es war Harka in diesem Augenblick, als ob er vom Dorfe her den Klang der dumpfen Zaubertrommel vernehmen könne, der alle Zungen lahmte. Selbst Tschetan schwieg und wich Harkas Blick einen Moment aus, um ihm dann doch zu begegnen, aber voller Trauer.
Mattotaupa faßte Alte Antilope noch einmal ins Auge. »Das ist das letzte Wort?«
Alte Antilope erwiderte nichts mehr, sondern spuckte aus.
»Das ist dein Tod«, sprach Mattotaupa leise. »Merke dir das und warte darauf. Ich komme.«
Der Häuptling wandte das Pferd, und Harka folgte ihm. Erst im Schritt, dann im leichten Galopp kehrten sie zu den Waldhängen der Berge zurück. Sie rasteten dort am Abend, aßen, legten sich hin. Mattotaupa schwieg, und Harka schwieg auch. Sie schliefen beide vor Erschöpfung, und wenn ein Feind gekommen wäre, um sie zu töten, so wäre es ihnen in dieser Nacht gleichgültig gewesen. Denn ihre große Hoffnung war zerbrochen.
In den folgenden Tagen und Nächten blieb Mattotaupa von einer unheimlichen Ruhe, und Harka wagte es nicht, ihn anzusprechen. Er ließ den Vater oft allein, da Mattotaupa dies zu wünschen schien. Der Junge streifte im Walde weit umher, weit hinauf bis zu den Höhenlagen, in denen der Wald aufhörte und der Felsenschutt bis zu den Bäumen herabreichte. Der Wind wehte mit herbstlicher Kühle und Steifheit. Hin und wieder schaute Harka zu der Höhe hinauf, in der sich das kleine Tal befand, und je öfter er allein umherstreifte, desto mehr zog es ihn, noch einmal dorthin zu finden, wo er den Sommer mit dem Vater zusammen froh und der Herr über Berge und Tiere gewesen war.
Eines Morgens sah er den Adler über den Gipfeln aufsteigen. Da war es geschehen. Der Knabe lief, fast sprang er den Berg hinauf bis zum Beginn des vertrauten Felspfades. Er eilte den Pfad entlang, wie er im Sommer so oft getan hatte, und fand zu der Quelle und der Wiese.
Das Wasser murmelte und sickerte, das Gras war hier noch grün. Die Grube, die Harka gegraben hatte, lag unberührt. Die Vorräte aber, die zurückgeblieben waren, waren alle unter den Rasenstücken hervorgezerrt, zerstreut, die Knochen abgenagt. Der Adler mußte noch oft auf dem Felsbrocken an der Quelle gesessen haben, um den Stein herum lagen die Abfälle.
Harka warf sich ins Gras und schluchzte. Einmal wollte er sich nicht beherrschen, einmal wollte er ganz er selbst sein in seinem Schmerz,
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