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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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die Zeltbewohner endlich, was geschehen sein mußte. Mattotaupa war heimlich im Zeltdorf gewesen. Er mußte das Tipi seines Beleidigers erklettert und den Pfeil durch den Rauchabzug auf den Schlafenden abgeschossen haben. Das war vor Mitternacht geschehen; die Wunde Antilopes war schon einige Stunden alt. So unbemerkt, wie er gekommen war, hatte sich Mattotaupa dann zurückgezogen.
    Bei dem Zelte Alte Antilopes erscholl der Klagegesang. Der Zaubermann trommelte in seinem Zelte, und die Verwandten des Getöteten stießen wilde Rachegelöbnisse aus.
    Von diesem Tage an wurde Uinonah noch stiller und scheuer.
    An Untschida wagte sich kein feindseliger Blick, kein verächtliches Wort heran. Stolz und unzugänglich bewahrte sie ihren Ruf als Geheimnisfrau, und selbst Hawandschita unternahm nichts gegen sie.
    Von alledem wußten Mattotaupa und Harka nichts. Aber sie hatten sich verändert, und um alles, was sie empfanden, bildete sich eine Kruste, die hart wurde. Bei Harka bildete sie sich noch härter als beim Vater, weil das Verschließen der Empfindungen in seinem jugendlichen Alter noch mehr wider die Natur wirkte und noch größerer Anstrengung bedurfte. Als der Vater nach jener Nacht zu dem Knaben zurückkehrte, sagte er nichts weiter als: »Er ist tot, und alle wissen es.« Harka aber bemerkte, daß der Vater den Pfeil nicht wieder mitgebracht hatte.
    Bald danach machten sich die beiden daran aufzubrechen. »Wir werden uns umsehen, wie die weißen Männer leben«, sagte Mattotaupa. »Du hast keine Patronen mehr für deine Büchse, und wir müssen uns also Munition eintauschen. Wir müssen auch eine Behausung für den Winter finden. Du bist zu jung, um zu sterben.«
    Harka brütete vor sich hin. »Was willst du den weißen Männern für die Munition geben, die wir für mein Mazzawaken brauchen?«
    Mattotaupa zog die Mundwinkel herab und griff in seine Gürteltasche. »Hier, dies!« Er zeigte Harka das Goldkorn, das der Knabe am Flusse zu Füßen der Black Hills gefunden und das sich zuletzt im Besitze des Zauberers befunden hatte.
    »Das? Woher hast du es?«
    »Hawandschita war nicht wachsam. Als ich mich zu den Zelten schlich, um Antilope zu töten, hing das Korn wieder einmal in dem Säckchen an der Stange vor dem Zauberzelt. Ich habe es mitgenommen. Aber vielleicht brauchen wir diese Tauschware auch gar nicht zu bieten. Wir werden sehen.«
    »Wir werden den Langmessern kein Gold geben. Ich habe nicht vergessen, was du mir gesagt hast, Vater, als du diesen glänzenden Stein in das Wasser geworfen hattest. Aber die alte Flinte des Pani?«
    »Habe ich Hawandschita gelassen. Sie ist schon verrostet. Mag er sie behalten.«
    »Deine neue Büchse?«
    »Keiner der Krieger hat sie im Kampf benutzt. Tatanka-yotanka wird sie damals mit sich genommen haben.«
    Wenn Mattotaupa »damals« sagte, klang das Wort bitter wie Galle. Er meinte den Tag seiner Verbannung.
    Harka fragte nicht weiter. Er stand auf. Was er vom Plane des Vaters halten sollte, wußte er noch nicht genau. Er mußte erst darüber nachdenken. Munition für seine Büchse brauchte er, daran war nicht zu rütteln. Aber dann? Wenn er sie hatte? Harka wollte nicht bei den weißen Männern leben. An liebsten wollte er im Herbst noch mit dem Vater Büffel jagen und dann, mit Wintervorrat wohl versehen, in einer Höhle unterschlüpfen.
     
     

 
Nach dem Sandsturm
     
    Der Sturm trieb den Flugsand auf der Grassteppe vor sich her. Hoch auf wirbelte der Sandstaub und legte sich im Fallen wie Dünen auf die Landschaft. Täler und Hügel verschwanden unter den Sandmassen, neue Erhebungen und Täler bildeten sich und wurden abermals fortgewirbelt, um andernorts wieder niederzufallen. Die Luft heulte in ihrer rasenden Bewegung. Der Tag verdunkelte sich, die Sandwolken schlossen das Sonnenlicht aus. Hilflos waren Tiere und Pflanzen dem Wüten des Sturmes und dem Erstickungstod unter den Sandmassen preisgegeben. Die Herbststürme, die das Land alljährlich quälten, hatten damit eingesetzt.
    Als die wirbelnde Luft bei beginnender Nacht zur Ruhe kam und aller Sand, den sie noch mit sich getragen hatte, herabgesunken war, schauten Mond und Sterne auf die weithin sich breitenden Sandwellen, die unberührt vom Leben schienen wie eine Vorwelt oder ein fremder Stern. Licht und Schatten, vom Monde hervorgerufen, war alles, was sich auf diesem Sandmeer unterschied.
    Aber als der Mond am Himmel um ein weniges gestiegen war und die Luft so still blieb, als habe sich nie ein Hauch von

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