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Der Weg ins Dunkel

Der Weg ins Dunkel

Titel: Der Weg ins Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Woodhead
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am Ufer des Kivusees in einer alten Kolonialvilla. Bei Tageslicht verbreiteten weitläufige Säulengänge und geschwungene Stuckdecken viel Charme und strahlten die Pracht einer vergangenen Epoche aus. Nachts dagegen hatte das Haus etwas Düsteres, fast Unheimliches. Das lag weniger an den knarrenden Bleirohren oder den feuchten Wänden als an den Schatten der Vergangenheit. Alles hier erinnerte an die Zeit, als die Belgier ihre Schreckensherrschaft ausübten, kein Zimmer war frei davon.
    Im nächsten Moment begann es zu surren, und das Licht ging wieder an. Jian blinzelte gegen die plötzliche Helligkeit an und sah dann wieder sein Spiegelbild in dem riesigen vergoldeten Spiegel. Er konzentrierte sich auf seine Augen. Sie sahen trüb aus, nicht so lebendig wie sonst. Spiegelten sie bereits wider, dass sein Gesundheitszustand täglich schlechter wurde? Die Kopfschmerzen quälten ihn inzwischen unablässig, keine Sekunde blieb er davon verschont.
    Was zum Teufel war bloß mit ihm los?
    Im Badezimmer standen eine Flasche Malt Whisky und ein Glas. Jian holte eine Handvoll Schmerztabletten aus der Jackentasche, zerbröselte sie und warf das grobkörnige Pulver in das Glas. Dann goss er reichlich Whisky darauf und stürzte alles mit einem Schluck hinunter. Der Effekt war so gewaltig, dass er einen Schritt zurück machte und das Glas fallen ließ, sodass es auf dem verblichenen Marmorfußboden zerbrach.
    Er fuhr sich mit beiden Händen an den Kopf und schrie laut auf. Es war ein langgezogenes, gequältes Heulen, das von den glatten Flächen widerhallte. Als er die Hände wieder herunternahm, kratzte er mit den Fingernägeln über seine Schläfen. Beim nächsten Blick in den Spiegel sah er die roten Kratzspuren und die nackte Verzweiflung in seinem Gesicht. Dieser Schmerz! Er war einfach unerträglich. Als steckte sein Kopf in einem Schraubstock, der permanent angezogen wurde. Jeder Gedanke, jedes Gefühl wurde davon erstickt. Der Schmerz raubte ihm den Schlaf, sodass zunehmende Erschöpfung seinen Zustand zusätzlich verschlechterte. Die Tabletten milderten nur die gröbsten Schmerzattacken, aber das machte kaum noch einen Unterschied.
    Jians Blick glitt langsam an seiner Gesichtshälfte zur Schwellung unter dem Hemdkragen hinab. Sie hatte deutlich zugenommen. Vermutlich war sie der Grund für die Kopfschmerzen. Aber was hatte sie hervorgerufen? Was geschah da mit ihm?
    Die Gilde. Es musste an der Gilde liegen. Vermutlich war sie hinter den Schwindel mit dem angeblich abgestürzten Satelliten gekommen und jetzt dabei, ihn zu vergiften.
    Jian musste sich festhalten, um nicht umzukippen. Ihm war schwindelig, und sein Sichtfeld verengte sich. Schon den ganzen Tag über hatte er diesen Mix aus Tabletten und Whisky zu sich genommen, die letzten beiden Male mit etwas Ritalin gegen die unbeschreibliche Müdigkeit. Alles verschwamm vor seinen Augen. Das Licht der flackernden Lampen zog wie Sonnenflecken an ihm vorüber.
    Bestimmt war es Xie. Sie hatten ihn hergeschickt, um ihn, Jian, zu vergiften. Warum sonst sollten die phantasielosen Bürokraten der Gilde ihn in letzter Minute in den Kongo beordert haben? Kaum war ihm dieser Gedanke gekommen, ergab alles einen Sinn. Ja, so musste es gewesen sein. Sie hatten dafür gesorgt, dass sich hier in Goma alles unverhältnismäßig in die Länge zog, damit er, Jian, sich nicht so schnell in ärztliche Behandlung begeben konnte, und die ganze Zeit über entfaltete das Gift, das Xie ihm verabreichte, unablässig seine Wirkung.
    Er musste weg von hier! Irgendwie musste er einen Weg finden, die ganze Bande abzuschütteln!
    Unten im Haus ertönte ein Gong, und Jian sah auf die Uhr. Es war acht, das Abendessen wurde serviert. Er klatschte sich händeweise kaltes Wasser ins Gesicht, tupfte sich mit einem Handtuch trocken und verließ das Badezimmer. Als er durch den Flur ging, zwang er sich, eine gleichmütige Miene aufzusetzen. Niemand sollte merken, dass er Schmerzen hatte. Er würde nicht das Gesicht verlieren, schon gar nicht vor Xie. Der sollte nichts davon merken, dass sein Gift wirkte.
    Der Flur führte auf eine große Veranda. An einer Seite war ein Esstisch gedeckt, an der anderen standen bequeme Sessel im Halbkreis, mit Blick auf den Rasen, der sich bis zum See erstreckte. Das Wasser schimmerte im Mondlicht, und dahinter ragten sanfte Hügel in den Nachthimmel.
    Vor den Sesseln stand auf einem niedrigen Tischchen der Käfig, den Mordecai ihm geschenkt hatte. Die Schmetterlinge schlugen

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