Der Weg ins Dunkel
daran hoch, bis sie schwankend auf den Füßen stand. Sie bedeckte die Brüste mit den Armen und schaute nach unten. Überall an den Geländern standen aufgeregte Minenarbeiter und zeigten auf den zugeschütteten Mineneingang.
Erst jetzt begriff Bear, was geschehen war, und erst jetzt wurde sie von der gleichen Panik ergriffen wie die anderen. Sie waren eingeschlossen, und es gab nicht die geringste Hoffnung auf ein Entkommen.
Wie erstarrt stand sie da und sah sich um. Nach und nach konnte sie in der Dunkelheit und dem Staub immer mehr Männer ausmachen. Auf den unteren Ebenen stritten sich die Minenarbeiter schon um Wasserbehälter und Brotrationen. Der Kampf ums Überleben hatte begonnen.
Auf der anderen Seite des Gewölbes, auf der nächstunteren Ebene, griffen zwei Männer die anderen an. Die beiden hatten sich bereits mehrere Kalebassen über die Schultern gehängt und versuchten an den Transportketten hochzuklettern, als wollten sie durch die Öffnung im Deckengewölbe fliehen. Bear blickte zu der Lichtquelle auf. Noch verbreiteten die letzten Strahlen der Abendsonne ein wenig Dämmerlicht, aber die Öffnung lag viel zu weit über ihnen, um sie erreichen zu können. Die einzigen Zugänge zur Mine waren mit Tonnen von Gestein zugeschüttet. Es gab – im wahrsten Sinne des Wortes – keinen Ausweg.
Doch plötzlich entdeckte sie in all dem Chaos einen hölzernen Verschlag, eine Art Hütte, nur zwanzig Meter von ihr entfernt. Das Gebilde hatte sich unter der Wucht der Explosion zur Seite geneigt und drohte jeden Moment einzustürzen. Trotzdem ging Bear mit unsicheren Schritten darauf zu, zog die wackelige Tür auf und identifizierte das Ganze als die Wachstube der LRA -Soldaten. Einige wenige Gegenstände befanden sich darin: ein Tisch, Stühle, eine Reihe von Haken, an denen noch Jacken hingen. Sie ging ein Stück hinein und entdeckte einen Wassereimer, der noch drei Viertel voll war, und ein Stück Seife. Das Wasser war mit schwarzem Staub bedeckt, aber das war ihr egal. Hauptsache, Wasser. Gierig trank sie davon und spürte, wie sich ihr Magen füllte. Sie konnte gar nicht wieder aufhören zu trinken. Als sie den Eimer schließlich wieder abstellte, war sie dem Erbrechen nahe, und ihr wurde so schlecht, dass sie sich irgendwo festhalten musste. Ihr Blick fiel auf einige schiefe Regale, in denen die Soldaten diverse Habseligkeiten verstaut hatten. Alles lag unberührt da. Offenbar hatte es hier keinen Kampf gegeben. Mordecai musste die Männer vor der Explosion zu sich gerufen haben, und sie waren in aller Ruhe abgezogen.
Dann fiel ihr Blick auf eine Pistole. Jemand musste die Waffe hier vergessen haben. Bear hob sie auf. Diesen Typ hatte sie schon einmal gesehen – eine Norinco, die zur Standardausrüstung chinesischer Soldaten gehörte. Sie öffnete das Magazin und sah, dass alle neun Patronen noch da waren. Sie machte die Waffe schussbereit und nahm sie mit, als sie zu den Jacken ging und eine über ihr zerrissenes T-Shirt zog. Sie saß so eng, dass sie einem schmächtigen Jungen gehört haben musste.
Bear wollte ins Minengewölbe zurückgehen, doch dann blieb sie resigniert stehen. Da draußen erwartete sie nichts als Chaos und Kampf, und sie war so erschöpft und verletzt, dass sie bezweifelte, ob sie dem gewachsen war. Auf einen Adrenalin- oder Energieschub zu hoffen, war unrealistisch. Wo sollte der herkommen? Aber sollte sie so enden – in einer gottverlassenen Mine mitten im unwegsamsten Kongo?
Das Feuer-Coltan … Deswegen war sie gekommen. Ein bitteres Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie daran dachte, wie sinnlos das Ganze gewesen war. Sie würde sterben, weil sie sich in den Kopf gesetzt hatte, diesem neuen Mineral auf den Grund zu gehen. Von ihrem Mann bis hin zu Fabrice hatten sie alle vor der Gefahr gewarnt, der sie sich aussetzen würde. Aber sie hatte nicht darauf gehört, sondern war einfach losgeflogen, und trotz aller Rückschläge hatte sie den Mut nicht verloren. Das hatte sie nun von ihrer Sturheit. Sie würde sterben, mitten im Dschungel und ganz auf sich allein gestellt.
Sie schloss die Augen und gab sich einen Moment lang einem Anflug von Selbstmitleid und Reue hin. Warum musste sie immer bis zum Äußersten gehen? Warum konnte sie nicht nachgeben? Warum war sie nur so dumm gewesen? Sie griff in ihre Hosentasche und holte das versiegelte Tütchen mit dem Feuer-Coltan heraus, das sie die ganze Zeit bei sich gehabt hatte. Sie betrachtete die rote Ader in der Mitte
Weitere Kostenlose Bücher