Der Weg ins Dunkel
reagiert, wende ich mich vielleicht besser an die anderen. Der Gouverneur von Chengdu beispielsweise ist sicher brennend daran interessiert, die Sache schnell über die Bühne zu bringen.»
«Ich denke nicht, dass Geld das Problem ist. Davon haben Sie ja ohnehin schon genug bekommen.» Xie mied den Blickkontakt. «Satellitenstarts können eine profitable Angelegenheit sein.»
Jian erstarrte. «Soll das eine Anschuldigung sein, oder wollen Sie sich einfach nur wichtig machen?»
Xie sah sein Gegenüber immer noch nicht an, obwohl Jian sich noch weiter zu ihm vorbeugte. Die Kerze leuchtete sein Gesicht von unten an, sodass es in dem Licht- und Schattenspiel fratzenhaft verzerrt wirkte.
«Sie halten sich wohl für besonders schlau, wenn Sie mich hier Tag um Tag hinhalten, nicht wahr? Aber wissen Sie, was das eigentlich Interessante ist? Dass Sie Shanghai von heute auf morgen verlassen haben, ohne auch nur zu ahnen, wohin die Reise gehen würde. Wir befinden uns hier im schwarzen Herzen der Erde, dem schwärzesten aller vorstellbaren Herzen. Hier kann alles passieren. Alles, was niederträchtig, ungerecht und verdorben ist. Und kein Mensch denkt sich was dabei. Das geht einfach so.» Unmittelbar vor Xies Gesicht schnippte Jian mit den Fingern. «Vor allem, wenn es gegen jemanden geht, der ganz allein dasteht.» Jian blickte auf den See, der in der Dunkelheit kaum noch zu sehen war. «Wissen Sie eigentlich, wie viele Leichen schon in diesen See geworfen wurden? Tausende. Tutsi, Hutu, Hema, Lendu. Ihre Stammesangehörigkeit spielte keine Rolle. Sie haben sich einfach gegenseitig getötet, bis sich das Wasser rot färbte. Es heißt, einmal seien so viele Leichen im See getrieben, dass die Fischerboote nicht mehr auslaufen konnten.» Jian senkte die Stimme. «Glauben Sie, eine weitere Leiche würde irgendjemandem auffallen? Selbst wenn sie jemandem auffiele, würde sich niemand dafür interessieren.»
Abrupt lehnte er sich zurück und stürzte seinen Wein hinunter, ohne Xie aus den Augen zu lassen.
«Sorgen Sie dafür, dass das Geld überwiesen wird», zischte er. «Wenn nicht, schwimmt morgen Abend eine Leiche im See, die kein verdammter Nigger ist.»
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Kapitel 30
Bear erwachte aus ihrer Ohnmacht, als die Mine von einer Explosion erschüttert wurde. Es gab einen gewaltigen Knall, der von den Felswänden widerhallte. Die Wucht der Explosion fegte durch Schächte und Tunnel, verschüttete den Mineneingang und ließ splitterndes Gestein zu Boden krachen. Dann erreichte die Erschütterung das zentrale Minengewölbe, und minutenlang ging eine Wolke aus Staub und Steinbrocken nieder. Der Steinschlag schien gar nicht mehr aufhören zu wollen, und es staubte bis hinauf zu den hölzernen Geländern. Als die Wucht der Zerstörung abebbte, legten sich die Staubpartikel in einer dicken Schicht auf alles und jedes.
Entsetzt beobachteten die Minenarbeiter das Ganze und begriffen nur langsam, was da geschah und dass sie nun endgültig gefangen waren.
Bear schloss die Augen, als ein neues Geräusch zu hören war – ein unheimliches Geheul. Sie drückte die Hände auf die Ohren und wand sich, als könnte sie dem Lärm dadurch entkommen. Er schien aus allen Richtungen zu kommen, und sie wusste erst gar nicht, was es war. Dann merkte sie, dass es die Minenarbeiter waren, die sich vor Wut und Angst die Seele aus dem Leib schrien.
Später als sie begriff Bear, dass Mordecai den Mineneingang hatte zuschütten lassen. Es kam ihr wie ein abstrakter Gedanke vor, wie etwas, das mit ihr nichts zu tun hatte. Es war viel zu anstrengend, jetzt darüber nachzudenken. Das könnte sie später immer noch tun.
Über zwei Stunden hatte sie bewusstlos dagelegen, und sie wusste nicht recht, wo sie war. Überall wirbelte Staub umher, bedeckte ihren Körper und ihr Gesicht, sodass sie kaum atmen konnte. Vor ihr stand ein hölzernes Geländer, und sie griff danach, bekam es aber nicht zu fassen. Sie versuchte es erneut und griff wieder daneben. Was war mit ihr los? Warum kam ihre Hand nicht da an, wo sie sollte?
Sie griff sich an den Kopf und tastete ihn ab. Aus einer offenen Wunde an der Schläfe tropfte Blut, ihr Ohr fühlte sich heiß und geschwollen an. Eine Blutspur schien direkt aus dem Ohr zu kommen. Dort hatte der Bodyguard sie getroffen. Offenbar hatte der Bastard ihr Innenohr verletzt. Deswegen also war ihr Gleichgewichtssinn gestört.
Unsicher tastete sie wieder nach dem Geländer und zog sich Stück für Stück
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