Der Weg ins Dunkel
ächzte, als wollte er reißen, wenn Luca ihn belastete, und die Brücke hing unter seinem Gewicht immer tiefer durch. Doch sie kamen heil über die Kluft und gingen weiter durch den Dschungel, bis sie ein felsiges Hochplateau erreichten.
Vereinzelte Büsche und zwergwüchsige Bäume fanden hier und da Nahrung auf dem kargen Boden. Mulden mit stehendem, von Algen überwuchertem Wasser waren zu sehen. Dahinter ragte ein Felsen fast senkrecht zwanzig Meter empor. Oben flachte er ab und war grün überwuchert. Es musste einer der Inselberge sein, die sie vom Flugzeug aus gesehen hatten.
Bear und Lanso warteten am Fuß des Felsens.
«Lanso sagt, hier sind wir sicher», sagte Bear und blinzelte gegen die Sonne an. «Es ist – oder war – ein heiliger Platz für die Dorfbewohner. Falls er sich irrt, können wir die anderen von hier aus wenigstens sehen, wenn sie kommen.»
Luca überlegte und schüttelte den Kopf. «Keine Chance, Bear», widersprach er leise. «Sie haben uns die ganze Nacht über verfolgt und unsere Spur nicht verloren. Und nicht nur das. Sie sind auch immer näher gekommen. Im Bach und auf den Steinen verliert sich unsere Spur vielleicht ein Stück, aber das wird sie nicht lange aufhalten.»
Bear lehnte sich an den Felsen und verschnaufte. «Wo sollen wir denn sonst hin?» Sie sah Luca verzweifelt an. «Außerdem halte ich diese Lauferei nicht mehr lange durch.»
Luca hatte den Kopf in den Nacken gelegt und sah sich den Felsen genauer an. In der Mitte verjüngte er sich, aber darüber befand sich ein massiver Überhang. Lucas Blick fuhr Stück für Stück daran empor, und seine Hände bewegten sich, als wäre er bereits in der Wand und setzte die nötigen Griffe an.
Von weitem sah die Route anspruchsvoll aus, aber Luca wusste, dass man eine Felsspalte nutzen konnte, die sich von unten bis ganz zum Gipfel hinaufzog. Dennoch war es ein Wagnis. Abgesehen davon, dass sie keine Seile hatten, mussten sie «auf Sicht» klettern, ohne zu wissen, wie stabil die Stellen waren, an denen sie sich festhalten würden. Trotzdem war Luca sich sicher, dass sie es schaffen konnten. Als Teenager war er in Chamonix in viel schwierigerem Gelände Freeclimben gegangen, ganz zu schweigen von den Kletterübungen, die er gemacht hatte, bevor er nach Tibet ging.
Bear stieß sich vom Felsen ab und folgte seinem Blick. «Du schaffst das», sagte sie. «Die perfekte Lösung. Da oben finden die uns nie.»
Skeptisch blickte Luca auf den Überhang.
«Das ist unsere letzte Hürde, Luca», sagte Bear. «Nur noch das hier, und du rettest uns alle.»
Luca kniff die Augen zusammen und versuchte die Struktur des Überhangs genauer zu erkennen. Dann schüttelte er den Kopf. «Der Überhang», sagte er. «Das ist ohne Ausrüstung nicht zu schaffen.»
Bear legte ihm die Hände auf die Schultern. «Unsinn, Luca! René hat gesagt, du bist einer der besten Bergsteiger der Welt. Also los, lass es uns versuchen!»
Luca sah in die Baumwipfel und ballte die Hand zur Faust, bis seine Fingerknöchel ganz weiß wurden.
«Nein», sagte er. «Ich bin kein Bergsteiger mehr. Lass dir was anderes einfallen.»
Bear zeigte in alle Richtungen des Plateaus und machte klar, dass die Alternative darin bestand, wieder in das Bachbett abzusteigen, um dort den Inselberg zu umrunden.
«Du siehst doch selbst, wo wir sind», sagte sie schrill. «Wenn wir kein Versteck finden, bringen sie uns um. Begreifst du das, Luca? Und was sie mit den Jungen anstellen, weil sie uns geholfen haben, möchte ich lieber genauso wenig wissen wie du.»
Luca rührte sich nicht.
«Los jetzt, Luca!», schrie Bear. «Es ist unsere einzige Chance.» Sie rüttelte ihn an der Schulter. «Sei doch nicht so ein Feigling!»
Luca packte ihr T-Shirt und zog sie an sich. Dabei hob er sie fast hoch, sodass sie auf die Zehenspitzen ging. «Wenn du es so eilig hast, da raufzukommen, kletter doch einfach los!», gab er wütend zurück.
Er stieß sie fort und ließ einen frustrierten Schrei heraus. Dann ging er vor dem Felsen über das Plateau, den Blick auf die mögliche Kletterroute gerichtet. Dabei murmelte er beständig vor sich hin und inspizierte insbesondere immer wieder kopfschüttelnd die Felsspalte. Zwanzig Meter von den anderen entfernt blieb er stehen. Hier war der Fels von dicken Lianen überwuchert, die bis zu einer schmalen Wasserrinne reichten. Die Wasserrinne schien sich bis zum Gipfel hinaufzuziehen. Luca zog ein paar Mal an den Lianen, um festzustellen, wie stark sie
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