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Der Weg ins Glueck

Titel: Der Weg ins Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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inmitten der Astern, die Walter so liebte, umgeben vom herbstlichen Sonnenschein, da hatte sich ein neues Licht auf ihr blasses junges Gesicht gelegt. Zumindest für den Augenblick fühlte sie sich frei von Schmerz und Einsamkeit. »Ich werde mein Versprechen halten, Walter«, sagte sie fest. »Ich werde arbeiten - und lehren - und lernen und lachen, ja, sogar lachen werde ich, durch all meine Tränen hindurch, und das verdanke ich dir und dem, was du gegeben hast, als du dem Ruf des Pfeifers folgtest.«
    Rilla wollte Walters Brief eigentlich hüten wie einen heiligen Schatz. Aber als sie Una Merediths Blick sah, nachdem diese den Brief gelesen hatte und ihn ihr zurückreichte, da dachte sie nach. Konnte sie es tun? Nein, unmöglich, sie konnte doch nicht Walters Brief aus der Hand geben, seinen letzten Brief. Es war sicher nicht egoistisch, wenn sie ihn behielt. Eine Kopie wäre so etwas Unpersönliches. Aber Una - Una hatte so wenig und ihre Augen waren die Augen einer Frau, der das Herz gebrochen war und der es doch nicht vergönnt war, laut zu weinen oder Mitleid zu erhoffen.
    »Una, möchtest du diesen Brief haben - und ihn behalten?«, fragte sie zögernd.
    »Ja, wenn du ihn mir geben kannst«, sagte Una wie teilnahmslos.
    »Dann sollst du ihn haben«, sagte Rilla schnell.
    »Danke«, sagte Una. Mehr sagte sie nicht, aber in ihrer Stimme lag etwas, das Rilla für ihr kleines Opfer entschädigte. Una nahm den Brief, und als Rilla gegangen war, drückte sie ihn an ihre einsamen Lippen. Una wusste, dass die Liebe nie wieder in ihr Leben treten würde. Sie war für immer begraben unter der blutgetränkten Erde irgendwo in Frankreich.
    Niemand außer ihr - und vielleicht Rilla - wusste das und niemand würde es je erfahren. In den Augen der Leute hatte sie kein Recht zu trauern. Sie musste sich verstecken und versuchen ihren langen Schmerz zu ertragen, allein. Aber auch sie würde ihr Wort halten.

Rettung in letzter Minute
    Der Herbst 1916 war eine schwere Zeit für die Ingleside-Bewohner. Anne erholte sich nur sehr langsam und alle litten unter dem Gefühl der Traurigkeit und Verlassenheit. Jeder versuchte es vor den anderen zu verbergen und mit heiterem Gesicht seiner Arbeit nachzugehen. Rilla lachte oft, aber keiner von den anderen ließ sich davon täuschen. Das Lachen kam nur von ihren Lippen, nie aus ihrem Herzen. Aber Außenstehende sagten, es sei erstaunlich, wie leicht manche Leute über ihren Kummer hinwegkämen, und Irene Howard bemerkte, sie hätte nie gedacht, dass Rilla Blythe so ein oberflächliches Ding ist. »Nach all dem Getue, wie viel Walter ihr bedeute, scheint ihr sein Tod überhaupt nichts auszumachen. Nicht eine Träne hat sie vergossen, geschweige denn seinen Namen überhaupt erwähnt. Sie hat ihn ganz offensichtlich schlichtweg vergessen. Der Arme - man sollte doch von seiner Familie wirklich mehr Mitgefühl erwarten können. Auf der letzten Rotkreuzversammlung habe ich mit Rilla über ihn geredet und gesagt, was für ein feiner, tapferer und großartiger Mensch er war.
    Und ich sagte, für mich könne nie wieder alles so sein, wie es war, jetzt, wo Walter tot ist. Wir waren doch so gute Freunde. Ich war sogar die Allererste, der er erzählt hat, dass er sich zum Kriegsdienst gemeldet hat. Daraufhin sagte Rilla, so kühl und gleichgültig, als meinte sie eine völlig fremde Person: »Er war bloß einer von vielen feinen und großartigen jungen Männern, die alles für ihr Land gegeben haben.« Ich wünschte, ich könnte die Dinge genauso gelassen hinnehmen, aber so bin ich nun mal nicht. Ich bin ja so empfindlich, mir macht alles so viel aus. Ich komme über solche Sachen nie hinweg. Als ich Rilla fragte, warum sie denn für Walter keine Trauer trägt, sagte sie, ihre Mutter wünsche das nicht. Aber jeder spricht doch darüber.«
    »Aber Rilla trägt doch nichts Farbiges, nur weiße Sachen«, entgegnete Betty Mead.
    »Weiß steht ihr besser als alles andere«, sagte Irene wichtigtuerisch. »Wir alle wissen doch, dass ihr Schwarz überhaupt nicht steht. Womit ich natürlich nicht gesagt haben will, das wäre der Grund, warum sie nicht in Schwarz geht. Es ist nur komisch. Wenn mein Bruder gestorben wäre, dann würde ich in tiefster Trauer gehen. Ich hätte gar nicht den Mut, was anderes zu tragen. Ich muss wirklich gestehen, ich bin von Rilla Blythe enttäuscht.«
    »Ich nicht«, protestierte Betty Mead. »Ich finde, Rilla ist ein wunderbares Mädchen. Ich gebe zu, vor ein paar Jahren

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