Der Weg ins Glueck
Rumänien hat den Ausschlag gegeben, sonst nichts. Das also war der Grund, jetzt verstehe ich. Jetzt ist Schluss mit dem ewigen Hin und Her. Ich würde sagen, der Krieg ist so gut wie gewonnen, und darauf kann ich mich verlassen, egal ob Bukarest fällt oder nicht.«
Bukarest fiel und Deutschland schlug Friedensverhandlungen vor. Susan aber stellte sich taub und wollte von solchen Vorschlägen nichts wissen. Als im Dezember Präsident Wilsons berühmte Friedensmitteilung mit der Post kam, kannte Susans Sarkasmus keine Grenzen mehr.
»Aha, Woodrow Wilson will Frieden schließen. Erst hat Henry Ford sich darin versucht und jetzt kommt Wilson daher. Aber Frieden lässt sich nicht mit Tinte schließen, das kannst du mir glauben, Woodrow!«, rief sie dem unglückseligen Präsidenten aus dem Küchenfenster zu, das den Vereinigten Staaten am nächsten lag. »Lloyd Georges Rede wird dem Kaiser zeigen, wo es langgeht, und du kannst dein Friedensgeschwätz bei dir behalten und dir das Porto sparen.«
»Schade, dass Präsident Wilson dich nicht hören kann, Susan«, sagte Rilla und grinste.
»Du hast Recht, liebe Rilla, es ist wirklich schade, dass er niemanden bei sich hat, der ihm einen guten Rat gibt. Diese Demokraten und Republikaner taugen doch nichts«, sagte Susan. »Ich habe sowieso keine Ahnung, was der Unterschied zwischen denen ist. Die Politik der Yankees ist mir ein absolutes Rätsel, auch wenn ich mich noch so sehr damit befasse. Ich fürchte«, Susan schüttelte verständnislos den Kopf, »die haben alle dieselben Fehler.«
In der letzten Dezemberwoche schrieb Rilla in ihr Tagebuch:
»Ich bin froh, dass Weihnachten vorbei ist. Wir hatten uns alle davor gefürchtet, denn es war ja das erste Weihnachten seit Walters Tod. Die Merediths waren zum Essen da, und niemand machte auch nur den Versuch, fröhlich zu sein. Alle waren ruhig und freundlich, und das half. Außerdem war ich froh, dass es Jims besser ging, so froh, dass ich mich fast gefreut hätte, aber eben nur fast. Ob ich mich wohl jemals wieder wirklich über etwas freuen kann? Es ist, als ob die Freude in mir tot ist, erschossen von derselben Kugel, die Walters Herz durchbohrt hat. Vielleicht wird ja eines Tages eine neue Art von Freude in meiner Seele geboren, aber die alte Freude wird nie wieder lebendig werden.
Dieses Jahr brach der Winter früh herein. Zehn Tage vor Weihnachten gab es einen gewaltigen Schneesturm - zumindest hielten wir ihn für gewaltig. Dabei war das nur der Auftakt zur eigentlichen Veranstaltung. Am nächsten Tag war es schön, und Ingleside und das Regenbogental sahen ganz zauberhaft aus mit den schneebedeckten Bäumen und den großen Schneewehen überall, in die der Nordostwind die phantastischsten Formen gemeißelt hatte. Vater und Mutter fuhren nach Avonlea hinauf. Vater dachte, die Abwechslung würde Mutter gut tun, und sie wollten die arme Tante Diana besuchen, deren Sohn Jack vor kurzem schwer verwundet worden ist. Susan und ich sollten solange aufs Haus aufpassen, und am nächsten Tag wollte Vater wieder zurück sein. Aber er kam erst eine Woche später. In der Nacht fing es nämlich wieder an zu stürmen und der Sturm hielt vier Tage lang an. Es war der schlimmste und längste Sturm seitJahren auf Prince Edward Island. Es war ein einziges Chaos. Die Straßen waren völlig verstopft, die Züge blieben stecken, und das Telefon funktionierte überhaupt nicht mehr.
Zu allem Überfluss wurde Jims krank. Er war schon leicht erkältet gewesen, als Vater und Mutter wegfuhren, und die nächsten Tage wurde es schlimmer, aber ich kam überhaupt nicht auf die Idee, es könnte etwas Ernsthaftes sein, ich habe noch nicht mal Fieber gemessen, und das kann ich mir im Nachhinein nichtverzeihen, denn es war die reine Gedankenlosigkeit. Aber es war so, dass ich einfach nicht mehr konnte.
Mutter war weg und da ließ ich mich gehen. Ich war plötzlich zu müde, um mich immer von der tapferen und fröhlichen Seite zu zeigen. Ich gab einfach ein paar Tage lang auf und verbrachte die meiste Zeit damit, im Bett zu liegen und zu weinen. Dabei habe ich Jims vernachlässigt - das ist die Wahrheit. Ich war feige und habe mich nicht um das Versprechen gekümmert, das ich Walter gegeben habe. Wenn Jims gestorben wäre, dann hätte ich mir das nie verzeihen können.
In der dritten Nacht, nachdem Vater und Mutter weggefahren waren, ging es Jims plötzlich schlechter - ach, und wie schlecht! Susan und ich waren allein. Gertrude war nach Lowbridge
Weitere Kostenlose Bücher