Der Weg ins Glueck
Ausnahmsweise musste ich ihm zustimmen, aber das sagte ich nicht. Außerdem, wie kommt er dazu, unseren Kater einen Lump zu nennen, Frechheit! »Lump oder nicht Lump«, sagte ich, »immerhin kennt er den Unterschied zwischen einem Kanadier und einem Hunnen.« Jetzt hätte man doch annehmen können, liebe Frau Doktor, dass dieser Hinweis deutlich genug war. Aber das traf ihn überhaupt nicht. Er machte es sich bequem, als wollte er sich jetzt gemütlich mit mir unterhalten, und ich dachte nur: Wenn der mir irgendwas auftischen will, dann möglichst schnell raus damit, dann hab ich’s hinter mir. Wenn ich vor dem Essen noch die ganzen Teppichreste färben will, dann ist zum Flirten keine Zeit, und ich sagte zu ihm: »Wenn Sie etwas Bestimmtes mit mir zu besprechen haben, Mr Pryor, dann wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie keine Zeit verlieren würden, weil ich noch viel zu tun habe.« Da strahlte er mich richtig an zwischen seiner roten Bartumrandung und sagte: »Sie sind eine emsige Frau und Sie haben ganz Recht. Ich werde keine Zeit verlieren und nicht lange um den heißen Brei herumreden. Ich bin also hergekommen, um Sie zu fragen, ob Sie mich heiraten wollen.« Das war’s also, liebe Frau Doktor. Endlich hatte ich meinen Heiratsantrag, nachdem ich vierundsechzigjahre darauf gewartet habe. Ich starrte diesen unverschämten Kerl an und sagte: »Sie würde ich noch nicht mal heiraten, wenn Sie der letzte Mann auf Erden wären, Josiah Pryor. Da haben Sie meine Antwort und die können Sie auf der Stelle mit nach Hause nehmen.« Der war vielleicht fassungslos, liebe Frau Doktor! Vor lauter Fassungslosigkeit platzte er mit der Wahrheit heraus: »Und ich dachte, Sie würden sich freuen, wenn Sie endlich einer heiratete sagte er. Und da habe ich den Kopf verloren, liebe Frau Doktor. Hatte ich nicht allen Grund dazu, wenn so ein Hunne und Pazifist mich dermaßen beleidigt? »Raus!«, schrie ich ihn an und schnappte mir den Farbtopf. Er dachte wohl, ich wäre völlig verrückt geworden, und ein Topf voll kochender Farbe in den Händen einer Wahnsinnigen, das konnte gefährlich werden. Auf jeden Fall suchte er das Weite, ohne sich lange bitten zu lassen, wie Sie ja selbst gesehen haben. Und so schnell kommt der nicht mehr her und hält um jemandes Hand an. Eins hat er wohl begriffen, nämlich dass es wenigstens eine Frau in Gien St. Mary gibt, die sich nicht danach verzehrt, Mrs Mondgesicht-mit-Schnauzbart zu werden.«
Warten
Ingleside, 1. November 1917
»Es ist November - und das Tal von Gien St. Mary ist ganz grau und braun, bis auf die Stellen, wo die Pyramidenpappeln wie große goldene Fackeln die trübe Landschaft überragen, während alle anderen Bäume ihre Blätter abgeworfen haben. In letzter Zeit ist es uns sehr schwer gefallen, den Mut nicht zu verlieren. Die Katastrophe von Caporetto ist furchtbar und nicht einmal Susan kann dem gegenwärtigen Stand der Dinge noch etwas Tröstliches abgewinnen. Wir anderen versuchen es gar nicht erst. Gertrude ist ganz verzweifelt und sagt immer wieder: »Venedig dürfen sie nicht kriegen, Venedig dürfen sie nicht kriegen«, als ob sie es damit verhindern könnte. Ich weiß jedenfalls nicht, was passieren müsste. Andererseits, und das betont Susan immer wieder, hatte es 1914 zuerst auch den Anschein, als ob nichts sie daran hindern könnte, bis Paris vorzudringen, und doch ist es ihnen nicht gelungen. Und so behauptet sie jetzt steif und fest, dass sie Venedig genauso wenig kriegen. Ach, ich hoffe und bete ja so, dass sie Recht hat - Venedig, die schöne Königin der Adria. Obwohl ich nie dort gewesen bin, empfinde ich genauso wie der Dichter Byron. Ich liebe diese Stadt einfach, sie ist für mich immer »eine Märchenstadt des Herzens« gewesen. Vielleicht hat Walter mich angesteckt. Er hat Venedig verehrt, und es war immer ein Traum von ihm, es einmal zu sehen. Ich erinnere mich, wie wir eines Abends im Regenbogental - kurz vor Ausbruch des Krieges - zusammensaßen und uns Vornahmen, irgendwann zusammen hinzufahren und in einer Gondel im Mondschein durch die Stadt zu gleiten.
In jedem Herbst seit Kriegsbeginn haben unsere Truppen irgendeinen schweren Schlag einstecken müssen: Antwerpen 1914, Serbien 1915; im letzten Herbst Rumänien und jetzt Italien, der schlimmste Verlust von allen. Ich glaube, ich wäre längst verzweifelt, wenn ich nicht an Walters Worte in seinem letzten lieben Brief denken müsste - dass »die Toten ebenso wie die Lebenden an unserer Seite kämpfen
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