Der Weg Nach Tanelorn
Grübeleien betrübten alle zutiefst, die ihn von früher gekannt hatten.
»Ich werde ihm den Vorschlag machen«, versprach Graf Brass, obwohl er sich insgeheim nichts mehr wünschte, als eine Weile von Falkenmond wegzukommen. Aber sein Verantwortungsbewusstsein ließ nicht zu, dass er allein reiste, ohne seinen alten Freund zumindest zum Mitkommen aufgefordert zu haben. Und Vedla hatte recht. Ein Besuch Londras mochte Falkenmond tatsächlich aus seiner Brüterei reißen. Das Risiko bestand natürlich, dass das Gegenteil der Fall sein würde. Graf Brass sah jedenfalls schon eine anstrengende Reise mit noch größerer Nervenbelastung voraus, als alle um Falkenmond hier auf der Burg ausgesetzt waren.
»Gleich morgen früh werde ich mit ihm sprechen«, murmelte Graf Brass nach diesen Überlegungen. »Möglicherweise kann durch eine Rückkehr nach Londra, auf den echten Schauplatz der Schlacht – statt dieser endlosen taktischen Spiele –, seine Melancholie ausgetrieben werden …«
Hauptmann Vedla pflichtete ihm bei. »Daran hätten wir schon eher denken sollen«, meinte er.
Graf Brass ahnte, dass der Hauptmann den Vorschlag, Falkenmond mitzunehmen, nicht ganz ohne Hintergedanken gemacht hatte.
»Und würdet Ihr mitkommen, Hauptmann Vedla?« erkundigte er sich deshalb mit leichtem Lächeln.
»Jemand müsste hier bleiben und für Euch nach dem Rechten sehen«, gab Vedla zu bedenken. »Sollte der Herzog von Köln jedoch ablehnen, Euch zu begleiten, würde ich es Euch natürlich nicht zumuten, allein zu reisen.«
»Ich verstehe«, murmelte Graf Brass. Er lehnte sich in seinen Sessel zurück, nippte am Wein und bemühte sich, ein heimliches Grinsen zu unterdrücken, als er seinen alten Freund ansah.
Nachdem Hauptmann Josef Vedla sich zurückgezogen hatte, blieb Graf Brass in seinem Sessel sitzen. Er unterdrückte sein Grinsen nicht länger. Er genoss es regelrecht, denn es war lange her, dass er überhaupt einen Grund zur Erheiterung gehabt hatte. Und nun, da er sich mit dem Gedanken einer Reise nach Londra vertraut gemacht hatte, freute er sich sogar schon auf sie, denn plötzlich war ihm das Ausmaß klar geworden, in dem die Stimmung in der Burg auf ihn drückte – ausgerechnet in seiner geliebten Burg, die einst so bekannt für ihren inneren Frieden war.
Er starrte hinauf auf die rauchgeschwärzten Sparren der Halle und dachte bedrückt an Falkenmond und was aus ihm geworden war. Er fragte sich, ob es wirklich so gut war, dass die Vernichtung des Dunklen Imperiums der Welt Frieden gebracht hatte. Es war leicht möglich, dass Falkenmond, sogar noch mehr als er selbst, erst richtig lebte, wenn Gefahr drohte. Gäbe es beispielsweise Schwierigkeiten in Granbretanien – es konnte ja sein, dass die unbelehrbaren Überreste der ehemaligen Maskenträger Königin Flana schwer zu schaffen machten –, wäre es sicher keine schlechte Idee, wenn Falkenmond sich der Sache annähme, die Unruhestifter entdeckte und Schluss mit ihnen machte.
Graf Brass hatte das Gefühl, dass eine Aufgabe dieser Art das einzige wäre, das seinen Freund retten konnte. Instinktiv erriet er, dass Falkenmond nicht für den Frieden geschaffen war. Es gab solche Männer – vom Schicksal zum ewigen Kampf bestimmt, ob nun zum Guten oder zum Bösen.
Graf Brass seufzte und widmete sich seinem neuen Plan. Er würde Flana gleich am Morgen schreiben, dass er beabsichtigte, ihre freundliche Einladung anzunehmen. Es war bestimmt faszinierend festzustellen, was aus dieser einst so ungewöhnlichen Stadt geworden war, seit er sie das letzte Mal als Eroberer gesehen hatte.
2. Graf Brass macht eine Reise
»Übermittelt Königin Flana meine ergebensten Empfehlungen«, sagte Falkenmond abwesend. Er hielt die kleine Zinnfigur in. der Hand, die Flana darstellte, und drehte sie einmal in diese, dann in die andere Richtung, während er sprach. Graf Brass war nicht einmal sicher, ob sich Falkenmond bewusst war, dass er sie vom Spielbrett hochgehoben hatte. »Sagt ihr, ich fühle mich nicht wohl genug, diese Reise zu unternehmen.«
»Ihr würdet Euch sicherlich gleich besser fühlen, wenn Ihr erst unterwegs wärt«, gab Graf Brass zu bedenken. Er bemerkte, dass Falkenmond dunkle Vorhänge vor die Fenster gezogen hatte. Lampen brannten im Zimmer, obgleich es schon fast Mittag und strahlend hell im Freien war. Und es roch dumpfig hier und ungesund, und der ganze Raum schien mit düsteren Erinnerungen gefüllt zu sein.
Falkenmond rieb sich die Narbe auf
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