Der Weg: Wenn Gott Dir eine zweite Chance gibt (German Edition)
viele andere Leute an mich, nicht nur Christen. ›Gläubig‹ zu sein ist eine Aktivität, keine Kategorie. Christen gibt es erst seit zweitausend Jahren. Aber was deine Frage angeht: Sind sie Polytheisten? Ganz und gar nicht.«
Jesus blieb stehen, wandte sich Tony zu und schaute ihn an.
»Hör gut zu, Tony, es gibt nur … einen Gott. Die Menschheit hat sich für die Unabhängigkeit entschieden. Die daraus resultierende Dunkelheit hat euch blind gemacht für die Einfachheit der Wahrheit. Also, eins nach dem anderen: ein Gott. Sosehr sie sich auch über die Details uneins sind, und natürlich sind diese Details und Meinungsunterschiede bedeutsam, herrscht doch zwischen den Juden mit ihren Sekten, den Christen aller Konfessionen und den Muslimen mit ihrer inneren Vielfalt diesbezüglich Einigkeit: Es gibt nur einen Gott, nicht zwei, nicht drei oder mehr. Nur einen.«
»Warte mal! Du hast gesagt …«, unterbrach Tony, aber Jesus hob die Hand, was ihn verstummen ließ.
»Als Erste und am besten haben die Juden es in ihrem Schma ausgedrückt: ›Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist einzig!‹ Aber in den jüdischen Schriften ist von diesem ›einen‹ Gott als Vielheit die Rede. Lasst ›uns‹ Menschen machen nach ›unserem‹ Ebenbild. Das war nie als Widerspruch zu Gott als dem Einzigen gemeint, sondern als Erweiterung der Natur des Einen. Tief im jüdischen Verständnis verwurzelt war die Erkenntnis, dass der Eine zwar in seiner Essenz einzig, aber doch eine Vielheit von Personen ist, eine Gemeinschaft.«
»Aber …« Wieder brachte Jesus Tony zum Schweigen, indem er die Hand hob.
»Auch wenn das eine grobe Vereinfachung ist: Die von mir sehr geliebten Griechen, vor allem Platon und Aristoteles, brachten alle Welt dazu, über den Einen Gott nachzudenken. Aber das mit der Vielheit begriffen sie nicht, also entschieden sie sich für unteilbare Singularität jenseits allen Seins und jeder Beziehung, einen unbewegten Beweger, unpersönlich und unnahbar, aber immerhin gut, was immer das hieß.
Und dann erscheine ich auf der Bildfläche, in keiner Weise im Widerspruch zum Schma, sondern es erweiternd. Ich erklärte in größter Einfachheit und Klarheit: ›Der Vater und ich sind eins, und wir sind gut.‹ Das ist dem Wesen nach eine Beziehungserklärung. Und wie du sicher weißt, löste das alle Probleme. Endlich bekamen die Religiösen das mit ihren vielen Ideologien und Doktrinen auf die Reihe, und von da an hatte jeder Streit ein Ende, und alle lebten glücklich und in Frieden …«
Jesus schaute Tony an, der fragend die Augenbrauen hob.
»Das ist natürlich Sarkasmus pur, Tony.« Jesus grinste. Wieder wandten sie sich zum Gehen und stiegen weiter den Hügel hinauf.
»Also, weiter mit meiner Geschichte: In den ersten paar Jahrhunderten nach meiner Inkarnation gab es viele, zum Beispiel Irenäus und Athanasius, die begriffen hatten. Sie erkannten, dass Gottes ganzes Wesen beziehungsorientiert ist – drei unterscheidbare Personen, die sich so wunderbar nahestehen, dass wir eine Einheit bilden. ›Einssein‹, Tony, ist etwas anderes als ein isoliertes, unabhängiges ›Allein‹. Und der Unterschied ist die Beziehung, die Gemeinschaft: drei Personen, die unterscheidbar sind und doch untrennbar zusammengehören.«
Jesus schwieg einen Moment.
Tony schüttelte den Kopf, versuchte zu begreifen, was er gesagt hatte. Er konnte sich nicht erinnern, jemals in seinem Leben vergleichbare Gespräche geführt zu haben. Er war fasziniert, wusste aber nicht, warum.
»Möchtest du wissen, was als Nächstes geschah? Warum die Dinge aus dem Ruder liefen?«
Tony nickte, und Jesus fuhr fort:
»Die Griechen, mit ihrer Liebe für die Isolation, beeinflussen Augustinus und später Thomas von Aquin, um nur zwei zu nennen, und so wird eine nicht beziehungsorientierte Christenheit geboren. Dann kommen die Reformer wie Luther und Calvin, die sich alle Mühe geben, die Griechen wieder aus dem Allerheiligsten hinauszubefördern. Doch sie liegen kaum im Grab, da werden die Griechen wiederbelebt und eingeladen, Religion zu lehren. Schlechte Ideen halten sich mit bemerkenswerter Zähigkeit, findest du nicht auch?«
»Das wird mir allmählich klar«, gab Tony zu. »Ich bin aber nicht sicher, ob ich jetzt mehr begreife als am Anfang deines Vortrags. Das ist alles faszinierend, sagt mir aber überhaupt nichts.«
»Ah, alles, was du wissen musst, ist das: Im Mittelpunkt allen Seins existiert ein wunderbarer Tanz
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