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Der Weg: Wenn Gott Dir eine zweite Chance gibt (German Edition)

Der Weg: Wenn Gott Dir eine zweite Chance gibt (German Edition)

Titel: Der Weg: Wenn Gott Dir eine zweite Chance gibt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Paul Young
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Verborgenen, aber Erwartungen gab es immer . So sah es nun einmal aus auf der Welt. Oder konnte es noch einen anderen Weg geben?
    »Also sitzen wir einfach nur hier herum.« Er erwartete nicht, dass sie darauf antworten würde.
    »Nein, Anthony. Wir sitzen nicht einfach nur hier. Wir beten.«
    »Beten? Zu wem beten Sie denn?«
    »Ich bete nicht zu jemandem.« Ihre Augen waren immer noch geschlossen. »Ich bete mit jemandem.«
    Er versuchte, sich zu gedulden, aber das Warten war so ungewohnt für ihn. »Mit wem denn?«, fragte er.
    »Mit dir!« Ein Lächeln erschien auf ihrem faltigen Gesicht, das vom Licht des Nachmittags umschmeichelt wurde. »Ich bete mit dir.«
    »Aber«, er schüttelte den Kopf, als könnte sie ihn durch ihre geschlossenen Augen sehen, »ich bete doch gar nicht.«
    Sie lächelte wieder, sagte aber nichts.
    Fast eine Stunde lang saßen sie dort. Er stellte sich vor, dass er seine Sorgen und Ängste in kleine imaginäre Boote warf, die er auf dem Bach davonschwimmen ließ, der nahe bei ihrer Hütte ins Tal rauschte. Diese Methode hatte er bei den Seminaren zur Aggressionsbewältigung erlernt, an denen er per Gerichtsbeschluss hatte teilnehmen müssen. Eines nach dem anderen schwammen die Boote davon, jedes mit seiner kleinen Fracht, und verschwanden außer Sicht, bis nichts mehr übrig war und er entspannt neben dieser Frau sitzen konnte und die klare Luft tief einatmete. Er konnte es sich nicht erklären, aber er fühlte sich erneut … in Sicherheit.
    Letztlich war es wieder er, der das Schweigen brach. »Entschuldigung, ich weiß nicht mehr, wie man Ihren Namen ausspricht.«
    Sie schenkte ihm ein strahlendes, zahnloses Lächeln, das in die beginnende Abenddämmerung hineinzuleuchten schien. »Ja, das Problem kenne ich. Großmutter … sprich es ›Großmutter‹ aus.«
    Er lachte. »Okay, Großmama«, sagte er und tätschelte ihre Hand.
    Zum ersten Mal öffnete sie die Augen, und wieder blickte er in diese unglaublichen Quellen des Lichts. Er sah Jesus, und doch war es anders. »Nicht Großmama«, berichtigte sie ihn. »Großmutter. Verstehst du?« Sie nickte dazu mit dem Kopf, und er erwiderte das Nicken unwillkürlich.
    »Oh, ja, Großmutter«, stammelte er entschuldigend. »Ich glaube, ich verstehe den Unterschied nicht richtig.«
    »Allerdings! Aber das verzeihe ich dir.«
    »Wie bitte?« Er war überrascht. »Du … ich hoffe, es ist dir recht, dass ich dich duze?«
    Sie lächelte und nickte.
    »Du verzeihst mir etwas, das ich gar nicht verstehe?«
    »Hör mal, mein Liebster.« Sie schwieg kurz, und Tony fühlte eine Woge von etwas zugleich Schmerzhaftem und Süßem, als sie dieses Kosewort benutzte. Er wurde von dieser Woge umspült, und Großmutter wartete, als wüsste sie, wann die Wirkung nachließ. Dann sagte sie: »Vor allem musst du anderen, aber unbedingt auch dir selbst, die Unwissenheit verzeihen, die so viel Schaden anrichtet. Menschen verletzen einander nicht nur absichtlich. Viel öfter geschieht es, weil sie es nicht besser wissen. Sie wissen nicht, wie sie anders sein können, besser.«
    Tony wollte das Thema wechseln. Sie rührte an Gefühle, die er lieber ruhen lassen wollte. Es war auch so schon ein langer Tag gewesen.
    »Wo wohnst du denn eigentlich?« Er konnte sich nicht vorstellen, dass jemand tatsächlich in einer solchen Hütte lebte. Es wirkte eher wie ein schlecht gebauter Schuppen für Gartengeräte.
    »Ich wohne überall, wo ich bin«, kam die knappe Antwort.
    »Nein, das habe ich nicht gemeint …«, fing er an, aber sie schnitt ihm das Wort ab.
    »Ich weiß, was du meinst, Anthony, aber du weißt nicht, was du fragst.«
    Tony wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Sprachlos zu sein war ungewohnt für jemanden, der sonst immer so schlagfertig gewesen war.
    Glücklicherweise kam Großmutter ihm zu Hilfe. Sie stand auf und streckte sich. »So. Hast du etwas zu essen dabei?«
    Obwohl er wusste, dass seine Taschen leer waren, kramte er darin, um sich zu vergewissern. »Nein, tut mir leid.«
    »Das geht in Ordnung«, lächelte sie, »ich habe mehr als genug.« Leise in sich hineinlachend, ging sie gemächlich zum Eingang der Lehmhütte, durch deren Risse und Spalten ein warmer Lichtschein drang. Tony stand auf und ließ seinen Blick noch einmal schweifen, während der hereinbrechende Abend die Farben erst dämpfte und dann immer mehr auslöschte. Von hier oben sah er einige Lichter in der unmittelbaren Umgebung des baufälligen Ranchhauses. Zu seiner

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