Der Weg: Wenn Gott Dir eine zweite Chance gibt (German Edition)
völlig neu. Keine verborgenen Spannungen, keine Fettnäpfchen oder Minenfelder, die in den Gesprächen lauerten. Und ihre Worte schienen völlig frei von Hintergedanken. Alles war real, authentisch, mitfühlend, unbeschwert und höchst angenehm, und deshalb erschien es ihm fast schon gefährlich.
Ein paar Minuten vergingen, dann sagte Jesus leise: »Tony, du wirst eine Reise unternehmen …«
Tony lachte. »Das klingt mehr wie etwas, das Großmutter sagen würde: ›Du wirst eine Reise unternehmen, Enkelsohn‹ … als wäre das hier«, er machte eine alles umfassende Geste mit den Armen, »nicht längst schon eine Reise, oder etwa nicht?«
Jesus lachte leise und sanft. »Genau so etwas würde sie sagen. Wie dem auch sei, auf deiner ›Reise‹ ist es wichtig, dich daran zu erinnern, dass du niemals allein bist, was auch geschieht oder wie immer es sich anfühlen mag.«
»Muss ich das wirklich wissen?« Er legte Jesus die Hand auf den Arm. »Ich versuche zu verdrängen, dass ich schon längst in die Sache eingewilligt habe. Wenn du mich nervös machen willst, gelingt dir das hervorragend.«
Wieder lachte Jesus, ruhig und authentisch, und vermittelte Tony das tröstliche Gefühl, dass er wirklich an Tonys Seite war und immer für ihn da sein würde. »Es ist nicht meine Absicht, dich nervös zu machen. Ich wollte dir nur noch einmal versichern, dass ich dich niemals verlassen werde.«
Tony holte tief Luft und suchte nach den richtigen Worten. »Ich … denke, ich glaube dir. Warum, weiß ich nicht genau. Vielleicht wegen meiner Mutter.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Übrigens, danke für alles. Ich meine, dass du bei mir warst, als ich auf dem Weg hier herauf zusammenbrach.«
Jesus nickte und klopfte ihm auf die Schulter. Dann fuhr er fort: »Großmutter und ich möchten dir ein Geschenk mitgeben, das du an einen Menschen auf deiner Reise weitergeben kannst.« Als wäre es das Stichwort, schlug Großmutter die Decken zur Seite und kam aus dem Nebenraum. Sie hatte ihr tiefschwarzes Haar gelöst, das jetzt locker und frei auf ihre Schultern fiel und einen starken Kontrast zu ihrem runzeligen und doch leuchtenden Gesicht bildete. Sie strahlte behagliches Wohlbefinden aus.
Großmutter streckte und reckte sich. Sie kratzte sich unter ihrem Kinn, wo an ihrem Kittel ein Knopf fehlte. »Ich werde alt«, ächzte sie. »Aber was soll man da machen?«
»Was auch immer!«, neckte Tony sie. Diese Frau war vermutlich älter als das Universum. »Sport treiben und eine Diät machen«, schlug er mit einem Lächeln vor, das sie erwiderte.
Sie ließ sich auf den Hocker neben ihm plumpsen, rutschte ein bisschen hin und her, bis sie bequem saß, und währenddessen zog sie aus den Falten ihres Kleides etwas, das wie Lichtfäden aussah. Starr vor Überraschung beobachtete Tony, wie sie geschickt die verschiedenen Enden miteinander verflocht, ganz ohne Gedanken oder Absicht die leuchtenden Fäden zusammenwebte. Licht berührte Licht, die verschiedenen Farben der Fäden mischten sich, und Transformationen begannen. Ein Faden aus irisierendem Aquamarin wurde zu tausend Schattierungen tanzenden Grüns, Rot verwob sich mit Lila, während zwischendrin Weiß hervorleuchtete. Mit jeder neuen Schattierung, jedem neuen Farbton ertönten leise Klänge. Sie mischten sich und schwollen zu einer Harmonie an, die Tony in seinem Körper spüren konnte. Zwischen Großmutters Fingern erschienen Formen, dunkle Räume zwischen den Lichtstücken, die drei oder noch mehr Dimensionen hatten.
Diese Muster und Figuren wurden immer komplexer, und plötzlich begannen in der tiefen, schweren Schwärze zwischen den Lichtfäden kleine Explosionen, Feuerwerksmuster wie vielfarbige Diamanten, getragen von einem tintenschwarzen Hintergrund. Und sie verschwanden nicht. Erst hingen sie in der Leere, blinkend und schimmernd, und als ihre Töne sich vereinigten, fingen sie an zu tanzen, präzise choreografiert und doch frei und leicht. Es war absolut faszinierend, und Tony hielt unwillkürlich den Atem an, während er zusah. Er ahnte, dass der kleinste Lufthauch, ja selbst ein Flüstern Großmutters Schöpfungen in unvorhersehbare Richtungen davonschweben lassen und so möglicherweise alles ruinieren würde.
Großmutter öffnete die Arme weiter, um diesen Schatz umfangen zu können, und Tony wurde Zeuge, wie sich auf unmöglich scheinende Weise ein Schöpfungsgebilde entwickelte. Seine Augen sahen etwas, was sein Verstand nicht begreifen konnte.
Weitere Kostenlose Bücher