Der Weg: Wenn Gott Dir eine zweite Chance gibt (German Edition)
er einen Herzstillstand. Er wurde sofort hierher transportiert. Die Scans ergaben eine Subarachnoidalblutung, und außerdem fanden wir ein subfalxiales Meningeom im Stirnlappen, mittig unterhalb der Falx cerebri.«
»Was also haben wir hier?«, fragte die Chefärztin.
»Ein höchst ungewöhnliches gemeinsames Auftreten dreier Prozesse. Trauma, Aneurysma und Tumor.«
»Auf welcher Seite des Gehirns befindet sich der Tumor?«
»Hm, das wissen wir nicht. Aber er trug seine Armbanduhr rechts.«
»Und das bedeutet?« Dr. Franklin wandte sich einem anderen Studenten zu.
»Hm. Dass er Linkshänder ist?«
»Und das ist wichtig, weil …?«
Während die Fragen und Antworten in Zimmer 17 noch eine kurze Zeit weitergingen, ehe die Chefärztin und ihr Gefolge ins nächste Zimmer und zur nächsten medizinischen Lagebeurteilung wechselten, fand im zehnten Stock des benachbarten Gebäudes, der Doernbecher-Kinderklinik, eine hitzige Diskussion statt.
Molly Perkins war wütend und müde. Das Leben einer alleinerziehenden Mutter war auch so schon schwierig genug, aber an Tagen wie diesem schien es eine hoffnungslose Überforderung zu sein. Man sagt von Gott, dass er uns nicht mehr austeilt, als wir bewältigen können, aber Molly hatte das Gefühl, am Ende der Fahnenstange angelangt zu sein. Berücksichtigte Gott die Last, die sie sich zusätzlich zu dem aufbürdete, was sie normalerweise schon zu bewältigen hatte? Berücksichtigte Gott das, was andere ihr aufhalsten? Sie konnte es nur hoffen.
Molly und der diensthabende Arzt führten ein Gespräch ähnlich denen, die für sie seit fast vier Monaten zum Alltag gehörten. Sie wusste, dass dieser Mann hier nicht die Ursache für ihr Leid war, aber in diesem Moment war es ihr egal. Freundlich und geduldig ließ er Mollys Ärger, zu dessen Zielscheibe er unglücklicherweise geworden war, über sich ergehen. Ihre wundervolle vierzehnjährige Tochter Lindsay lag im Sterben, nur einen Steinwurf von der Stelle entfernt, wo sie standen. Ihr Körper war nicht nur von der fortschreitenden Leukämie gezeichnet, sondern auch von den Medikamenten, die in dieser zitternden und immer schwächer werdenden Insel der Menschlichkeit gegen die Krankheit kämpften. Molly war sich sehr wohl bewusst, dass dieses Krankenhaus voll war mit anderen, die wie ihre Lindsay mit dem eigenen Körper im Krieg lagen. Aber im Moment war Molly zu erschöpft, um mehr als nur das Leid ihrer Tochter an sich heranzulassen.
In den Schützengräben der Medizin kämpften viele mitfühlende Menschen wie dieser Arzt, den Molly verbal geißelte. Auch wenn sie nach der Arbeit vielleicht wegen der Verluste, die sie nicht hatten verhindern können, in ihre Kissen weinten, behielten sie im Dienst doch die Nerven. Doch oft verfolgten Schuldgefühle sie, weil sie selbst damit fortfuhren, zu leben, zu lachen, zu spielen und zu lieben, während sie viele ihrer Patienten, oft ganz jung und unschuldig, trotz allen Bemühens nicht zu retten vermochten.
Eltern wie Molly Perkins brauchten Antworten und Hoffnung, selbst wenn es keine mehr gab. Doch die Ärzte konnten nur immer neue Fakten und Tabellen präsentieren und versuchen, das Unvermeidliche möglichst schonend zu erklären. Glücklicherweise gab es auch immer wieder Siege, aber die Verluste schienen viel schwerer zu wiegen, besonders wenn sie sich häuften.
»Wir werden morgen noch einmal eine Reihe von Tests durchführen, Ms. Perkins, die uns zeigen, wie weit wir noch vom absoluten Tiefstpunkt entfernt sind, wenn die Zahl der weißen Blutkörperchen auf null zurückgeht. Ich weiß, Sie haben all das schon viele Male gehört, also entschuldige ich mich dafür, wenn es auf Sie in irgendeiner Weise herablassend wirkt. Werden Sie dabei sein können? Es ist leichter für Lindsay, wenn Sie hier sind.«
»Ja, ich komme.« Sie strich sich die blonde Strähne aus der Stirn, die sich irgendwie nie bändigen ließ. Was würde ihr Chef diesmal sagen? Irgendwann würde es mit seiner Geduld vorbei sein. Er konnte nicht ständig ihre Kollegen bitten, für sie einzuspringen. Auch wenn sie stundenweise bezahlt wurde, also nur für die Arbeit, die sie auch tatsächlich ableistete, brachte ihr häufiges Fehlen doch die Abläufe durcheinander. Die anderen zeigten zwar Verständnis für den Wind, der Mollys Leben durchschüttelte, aber sie hatten ihr eigenes Leben, ihre eigenen Familien und wartenden Töchter.
Sie warf einen Kontrollblick hinüber zu Cabby, der in der Nähe auf einem
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