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Der Weg zurück

Der Weg zurück

Titel: Der Weg zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E.M. Remarque
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in der Grube. Seelig fiel ihm direkt auf den Kopf. Das waren ungefähr zwei Zentner Lebendgewicht. Ferdinand fluchte mörderisch. Dann erkannte er den Feldwebel, aber deshalb hielt er als altes Frontschwein den Mund nicht, denn es war immerhin 1918 . Der Spieß rappelte sich auf, sah seinen alten Gegner Kosole vor sich, explodierte und schrie ihn an. Ferdinand schrie zurück. Bethke, der auch unten war, versuchte sie auseinanderzureißen. Aber der Feldwebel spuckte vor Wut, und Kosole, im Gefühl, dass ihm schweres Unrecht geschah, ließ nichts auf sich sitzen. Jetzt sprang auch Willy noch hinunter, um Kosole beizustehen. Ein mächtiges Gebrüll stieg aus dem Grabe empor.
    »Ruhe«, sagte plötzlich jemand. Obschon die Stimme leise war, hörte der Lärm sofort auf. Seelig kletterte schnaufend aus dem Grabe. Seine Uniform war weiß von Kalkstaub, er sah aus wie ein Posaunenengel mit Zuckerguss. Kosole und Bethke kamen ebenfalls herauf.
    Oben stand, auf seinen Spazierstock gestützt, Ludwig Breyer. Bisher hatte er, mit zwei Mänteln zugedeckt, vor dem Unterstand gelegen, denn er hatte damals seinen ersten schweren Ruhranfall.
    »Was ist los?«, fragte er. Drei Mann zugleich versuchten eine Erklärung. Ludwig wehrte müde ab. »Ist ja auch egal. –«
    Der Spieß behauptete, Kosole hätte ihn vor die Brust gestoßen. Kosole schäumte erneut dagegen an.
    »Ruhe«, sagte Ludwig noch einmal. Es wurde still. »Hast du alle Erkennungsmarken, Albert?«, fragte er dann.
    »Ja«, antwortete Troßke und fügte leise, damit Kosole es nicht hörte, hinzu: »Schröder ist auch dabei.«
    Beide sahen sich einen Augenblick an. Dann sagte Ludwig: »Also haben sie ihn doch nicht gefangen genommen. Wo liegt er?« Albert führte ihn die Reihe entlang. Bröger und ich folgten; denn Schröder war unser Mitschüler. Troßke blieb vor einer Leiche stehen, deren Kopf mit einem Sandsack zugedeckt war. Breyer bückte sich. Albert zog ihn zurück. »Nicht aufmachen, Ludwig«, bat er. Breyer drehte sich um. »Doch, Albert«, sagte er ruhig, »doch.«
    Man konnte von Schröders Oberkörper nichts mehr erkennen. Er war platt wie eine Flunder. Das Gesicht war zu einem Brett gehauen, in dem ein schwarzes, schiefes Loch mit einem Kranz von Zähnen den Mund andeutete. Schweigend deckte Breyer es wieder zu. »Weiß er es?«, fragte er und sah in die Richtung, wo Kosole arbeitete. Albert schüttelte den Kopf. »Wir müssen sehen, dass der Spieß verschwindet«, sagte er, »sonst gibt’s ein Unglück.« Schröder war Kosoles Freund gewesen. Wir hatten es zwar nie verstanden, denn er war zart und anfällig, ein richtiges Kind, und ganz das Gegenteil von Ferdinand – aber der hatte ihn beschützt wie eine Mutter.
    Hinter uns schnaufte jemand. Seelig war nachgekommen und stand mit aufgerissenen Augen da. »So was habe ich noch nie gesehen«, stammelte er, »wie ist denn das passiert?«
    Keiner antwortete – denn Schröder hätte eigentlich vor acht Tagen auf Urlaub gehen müssen, Seelig aber hatte ihm das versaut, weil er ihn und Kosole nicht leiden konnte. Jetzt war Schröder tot.
    Wir gingen weg; denn wir konnten den Spieß in diesem Augenblick nicht sehen. Ludwig kroch wieder unter seine Mäntel. Nur Albert blieb. Seelig starrte die Leiche an. Der Mond kam hinter einer Wolke hervor und beleuchtete sie. Den dicken Oberkörper vorgebeugt, stand der Feldwebel da und sah auf die fahlen Gesichter herunter, in denen der unfassbare Ausdruck des Grauens gefroren war zu einer Stille, die beinahe schrie.
    Albert sagte kalt: »Am besten ist es, Sie sprechen jetzt ein Gebet und gehen dann zurück.«
    Der Feldwebel wischte sich die Stirn. »Ich kann nicht«, murmelte er. Das Entsetzen hatte ihn gepackt. Wir kannten das; wochenlang empfand man nichts, und plötzlich, bei einer unvermuteten Gelegenheit, schlug es einen nieder. Mit grünem Gesicht schaukelte er fort.
    »Der hat gemeint, hier würde mit Bonbons geschmissen«, sagte Tjaden trocken.
    Es regnete stärker, und wir wurden ungeduldig. Der Spieß kam nicht wieder. Endlich holten wir Ludwig Breyer unter seinen Mänteln hervor. Er sprach mit leiser Stimme ein Vaterunser.
    Wir reichten die Toten herunter. Weil half mit anfassen. Ich merkte, wie er bebte. Fast unhörbar flüsterte er: »Ihr werdet gerächt werden.« Immer wieder. Verwundert sah ich ihn an.
    »Was hast du bloß?«, fragte ich. »Das sind doch nicht deine ersten. Da wirst du viel zu rächen haben.« Er sagte dann nichts mehr.
    Als wir die ersten

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