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Der weibliche Weg Gottes

Der weibliche Weg Gottes

Titel: Der weibliche Weg Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Gerland
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erst einmal mit mir allein klar kommen, denke ich. Noch besser wird es sein, zunächst eine Auszeit von spirituellen Gedanken und Erfahrungen zu machen, bis ich mich wieder stabil fühle.
    Die Gassen und Plätze locken, das leichte, ablenkungsreiche Leben in dieser schönen Stadt scheint angesagt. Die Kathedrale sieht aus wie von einem Zuckerbäcker gebaut, zum Bestaunen schön. Als ich sie betrete, bin ich in einem Raum mit unsagbar vielen strahlenden Farben, die durch das bunte Glas der Fenster entstehen. Es kommt mir so vor, als stände ich in einem riesigen Kaleidoskop, wenn ich aufhöre, etwas Bestimmtes mit meinen Augen zu fixieren und meinen Kopf hin und her bewege. Es ist sehr beeindruckend.
    Nur habe ich plötzlich gar keine Zeit mehr. Wie von einem Lasso eingefangen, führt mich mein Weg nach links, durch ein, zwei Räume, bis ich vor einer schweren Holztür stehe. Auf einem Zettel lese ich, der Eintritt ins Claustro kostet Geld. Was ist das Claustro? Neben der Tür ist die Kasse. Ich verlange ein Ticket und zeige auf die Tür... Claustro?... Si, Claustro. Es folgt eine längere Frage aus dem Kassenhäuschen. No, no, Claustro. Die Augenbrauen werden kritisch verzogen. Wahrscheinlich geht hier keiner nur durch diese Tür. Auf der anderen Seite ist das Museum. Ein Ticket für beides ist sicher günstiger. Ist mir egal. Ich habe es sehr eilig, will das, was hinter der Tür ist, nicht warten lassen.
    Das Claustro ist der Kreuzgang, und hinter der schweren Eichentür öffnet sich mitten in der quirligen Stadt mit der belebten Kathedrale ein sonnenüberfluteter Platz, auf dem es außer Angelika und mir keine anderen Menschen gibt. Die Sonne scheint auf den Platz in der Mitte, unter den Bogengängen ist es wunderbar kühl, was für ein schöner, energiereicher Ort. Mir ist, als könnte ich die Männer sehen, die hier vor Hunderten von Jahren, in theologische und politische Erörterungen vertieft, würdevoll ihre Runden gegangen sind. Vermutlich wurde hier über das Schicksal der ganzen Region entschieden. Ob Frauen dabei zugelassen waren? Wohl kaum. Über sie wurde hier entschieden, über ihr Geld, ihre Ehre, ihren Leib und ihr Leben.
    Mein Herz schlägt schneller, und ich spüre die Erregung, wie kurz vor einer Prüfung. Was hat mich hierher gezogen, was hält mich hier? Ich war schon einmal hier, da bin ich mir jetzt sicher. Mir ist, als sei mein Weg vor langer Zeit hier zu Ende gewesen. Vielleicht schon lange, bevor diese Kathedrale gebaut wurde.
    Viele Kultstätten wurden im Laufe der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung zerstört, Kapellen wurden an diesen Orten errichtet, später Kirchen und Kathedralen. Speziell weiblichen Gottheiten folgte Maria auf dem Fuße — unten Isis, oben Maria. Für den Volksglauben kein Bruch, einer Frau, die man um Hilfe bitten konnte, folgte eine andere.
    „Von Süden bin ich gekommen, hier endet mein Weg“, sagt plötzlich ein Gedanke in meinem Kopf. Kein Gedanke aus diesem Leben, etwas ganz Altes meldet sich. Ja, vielleicht ist das so, vielleicht war ich schon einmal hier. Vielleicht wollte ich deshalb hier hinein.
    Allerdings ist das mit den Stimmen im Kopf so eine Sache. Ich meine, wir können in Gedanken schon mit anderen Menschen sprechen, das nimmt uns keiner krumm, es ist noch im Bereich des Normalen. Aber wenn die uns antworten, oder wir allein diese Stimmen hören, sind wir hart an der Grenze zum pathologischen Befund. Werde ich verrückt?
    Ich bin mir sicher, dass dies nicht mein erstes Leben ist, habe Bruchstücke von Erinnerungen an frühere Leben. Ein weiteres Versatzstück in meiner Erinnerung erschreckt mich nicht, macht mich dankbar für die Offenlegung. Das ist die eine Seite. Aber die andere zweifelt in solchen Momenten an der Richtigkeit der eigenen Wahrnehmung, so war es bisher. Aber ich kann mir vertrauen, davon bin ich nach der Nacht in der Meseta überzeugt.
    Währenddessen gehe ich weiter meine Runden, hoffe auf weitere Spuren meines früheren Lebens. Immer wieder komme ich zu einer Stelle, an der mein Herz noch schneller schlägt. Sie liegt im Süden. Im Boden befinden sich zwei große Steinplatten, die mir vorher noch nicht aufgefallen sind, unter ihnen Gräber. Auch Angelika spürt, dass diese Stelle eine besonders hohe Energie ausstrahlt. Ich bin noch normal, wie schön, wenn man denn meint, es sei normal, fließende Energien zu spüren.
    Auf der Wand dahinter gibt es eine Wandmalerei: Christus am Kreuz, davor die Frauen.
    Dort das Sterben.

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