Der weibliche Weg Gottes
Gesichter. Es ist bald schon vorbei, steht für einen Moment in allen geschrieben. Nur Maritta, die heute den zweiten Tag unterwegs ist, hält das noch für eine weite Entfernung.
Wieder zwei Tage später treffen wir uns in den Bergen, in El Acebo, beim Essen. Wieder ist es Peter, der alle aufhorchen lässt, als er von unserem Abendmahl spricht. Wir wissen es noch nicht, aber es ist wirklich ein Abschied. In dieser Runde werden wir nie mehr zusammen sein. Eines hat uns der Camino bisher alle gelehrt: Wir können das, was gerade da ist, genießen. „Unser täglich Brot gib uns heute“, die Betonung liegt auf „heute“. Es geht immer nur um das Heute.
Auf meinem Weg durch die Berge nach Trabadelo bin ich allein. Die Auszeit ist beendet, so nenne ich mittlerweile die Tage, an denen ich mit anderen zusammen bin. Der Aufstieg hat es in sich, gut dass es heute Morgen noch so kühl ist. Trotzdem schwitze ich schon nach wenigen Metern, mein Atem geht schwer und die kühle Luft schmerzt in den Lungen. Was habe ich mir denn da wieder angetan?! Dick überholt mich, möchte wohl ein Stück mit mir gemeinsam gehen. Aber ich winke ab. Mit diesen ellenlangen Beinen kann ich bergauf nicht Schritt halten. Ich brauche jetzt auch wieder Zeit für mich allein.
Unvermittelt ist er wieder da, der Satz, der mir in der Meseta Kraft gegeben hat. Doch er ist verändert, so wie ich es auch bin: „Ich bin stark genug, diesen Weg zu gehen, denn SIE ist bei mir .“
In Lourdes ist SIE die Jungfrau, die mein Gebet gehört und wohl beschlossen hat, dass es jetzt an der Zeit ist für eine Begegnung mit mir — auf ihre Art. Die sich auch durch mein skeptisches Beten nicht abhalten lässt. In Pamplona ist SIE die junge Mutter Maria, die, als ich ihre Skulpturen eher fad finde, mein Herz gleich draußen vor der Tür berührt, damit ich sehen lerne, was ansteht: Liebe und Mitgefühl. In León im Claustro ist SIE eine der Frauen unter dem Kreuz. Sie muss unter dem Kreuz mit ansehen, wie ihr von der Obrigkeit als gefährlich und missraten abgeurteilter Sohn grausam hingerichtet wird. Ich bin so mit den Gräbern davor und der Stimme beschäftigt, dass mir dieser Aspekt des Geschehens erst jetzt bewusst wird. Gerade dieser Teil der Maria, die trauernde Mutter, war mir bisher am fernsten, dabei verbindet mich genau dieser Teil besonders mit ihr. Auch sie hat verzeihen müssen, wenn sie nicht bitter und starr werden wollte in ihrem Leid.
Maria verkörpert in diesen drei Lebensphasen das Erleben unseres Menschseins. Die Hoffnung, die Liebe und den Verlust. Der ewige Kreislauf von Neubeginn,
Hoch-Zeit und Vergehen. Ich erkenne in ihr die Frau, die ihren eigenen, spezifisch weiblichen Weg des Glaubens geht. Sich einlassen, ganz und gar, einen schönen, aber auch dornigen Weg zu gehen, um am Ende mit leeren Händen dazustehen, aus denen Neues wachsen kann.
Sie ist eine Frau, die das, was ich erlebt habe, verstehen wird. Und ich fühle mich ihr nah, kann nachvollziehen, was mit ihr geschehen ist, entwickele ein Gefühl für sie und ihr Leben. Unter diesem Blickwinkel habe ich sie noch nie vorher gesehen. Jetzt ist SIE da, öffnet eine Tür und ich gehe staunend durch kalte, staubige Flure, in die neues, warmes Licht fällt.
Nun bin ich hier an der Grenze zu Galicien, der letzten Provinz meines Weges durch Spanien. Maria hat mich während meiner ganzen Reise begleitet. Still, unaufdringlich, manchmal unbemerkt und gleichzeitig kraftvoll, wie eine offene Hand, bereit zu geben, zu halten und zu beschützen.
SIE ist da, ich habe einen Zugang zu IHR gefunden, fühle mich verbunden mit IHR. Sie ist die Frau, die Höhen und Tiefen erlebt hat und den ewigen Zyklus von Leben schenken und sterben lassen. Sie kennt den Kampf ums Dasein, Sorgen, Schmerzen und die Hoffnung. Aber sie kennt auch die Freude, das Glück und die Leichtigkeit. SIE ist der Mensch und gleichzeitig der Teil Gottes, der bei mir ist. Es gibt sie beide und doch sind sie eins, davon bin ich überzeugt. Erstauen und Glück halten an. Trotzdem kommt es mir so vor, als würde ich auf einer dünnen Eisschicht stehen, keine Ahnung, ob es hält.
Alles hat sich gut gefügt. Der Camino hat mir die äußeren Bedingungen gegeben, die ich brauchte, um etwas im Inneren zu verarbeiten. Gleichzeitig waren Psyche und Spiritualität miteinander verbunden. Was sich auf der einen Seite entwickelte, zeigte sich auch auf der anderen. Psyche und Spiritualität wurden wiederum beeinflusst durch den Zugang zu
Weitere Kostenlose Bücher