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Der weibliche Weg Gottes

Der weibliche Weg Gottes

Titel: Der weibliche Weg Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Gerland
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Außen. In dem Maße, wie ich mich im Inneren heil fühle und Maria zulasse, wende ich mich auch IHM zu, denn sie sind eins — in mir.

Santiago de Compostela

    Am 15. Juni, pünktlich um 12.00 Uhr zur Pilgermesse, erreiche ich die Kathedrale. Dieser Weg ist zu Ende. Seit dem 21. April bin ich unterwegs, an 44 Tagen bin ich gewandert, 850 Kilometer liegen hinten mir. Eine Leistung, auf die ich stolz bin. Ich hatte keine Blase an den Füßen, nur eine leichte Zerrung im Bein, schon lange keinen Muskelkater mehr, habe einen aufrechten Gang bekommen, bin zwei Zentimeter größer, wie ich zu Hause feststelle. Ich fühle mich wunderbar, stark, weich, frei und gleichzeitig verwirrt, wenn ich an meine Reise mit Maria denke. Mit diesem Widerspruch kann ich aber zunächst gut leben. Alles hat seine Zeit. Jetzt in Santiago de Compostela geht es darum, das Ende zu zelebrieren.
    Hier in der Kathedrale soll der Apostel Jakobus seine letzte Ruhe gefunden haben. Nachdem er zunächst in Spanien die Botschaft Jesu verkündet hatte, ließ ihn Herodes bei seiner Rückkehr nach Palästina durch das Schwert töten. Seine Gebeine wurden mit dem Schiff zurück nach Galicien transportiert. Als das Schiff Spanien erreichte, soll ein junger Adeliger voller Begeisterung ins Meer geritten sein — und verschwand. Santiago soll ihm geholfen haben, das rettende Ufer zu erreichen, über und über mit Muscheln bedeckt. Die gängigsten Darstellungen zeigen ihn mit Wanderstab und Muschel am Hut. Im Jahre 813 wurden die Überreste eines Menschen gefunden, der besagter Santiago (spanisch für Jakobus) gewesen sein soll. Er wurde gerade zur rechten Zeit gefunden. Die Mauren hatten große Teile der Iberischen Halbinsel eingenommen. Dieser Fund legitimierte den Kampf gegen die Ungläubigen, das restliche Europa unterstützte wirtschaftlich und finanziell. Nun beginnt das zweite — schreckliche Wirken des Jakobus. Im Jahre 844 erscheint er in der Schlacht gegen die Mauren auf einem Schimmel und verhilft den Christen zum Sieg über die Besetzer. Die Abbildung der Legende zeigt ihn säbelschwingend, zu seinen Füßen die Getöteten.
    Später ging Santiago noch einmal verloren, bevor er endgültig einen Ruheplatz für seine Gebeine fand. Nun liegt er also hier, jedenfalls hat die katholische Kirche diese Gebeine für echt befunden. Die Unesco hat Santiago de Compostela zum Kulturgut der Menschheit erklärt.
    Gleichgültig, was an dieser Geschichte stimmt, Santiago de Compostela ist das äußere Ziel. Es ist schön, so etwas Äußeres zu haben, ein Bild, das während des Weges das Ziel repräsentiert, wird später ein Symbol für das Erreichte.
    Das Entscheidende hat sich während des Weges ereignet. Menschen sind wie Blumen, sie brauchen liebevolle Zu-Wendung und gesunden Frei-Raum zum Gedeihen. Davon gibt es reichlich auf dem Weg, so man will.
    Angelika kommt gemeinsam mit mir an. Dick ist schon da, Peter nur wenige Minuten nach uns. Tränen der Freude und Erleichterung laufen mir über die Wangen. Es ist geschafft! Zwei Tage feiere ich mein Ankommen mit anderen. Täglich erreichen weitere Pilger Santiago, die ich kenne. Wir sitzen auf den Plätzen in der Sonne, schauen eine Prozession an, bewundern das Outfit derjenigen, die sich nach den Wochen in Wanderkleidung erst einmal neu eingekleidet haben. Abends sitzen wir an großen Tischen. Reden deutsch, englisch, spanisch, holländisch oder schweigen. Die Gesichter um mich herum sind entspannt, sehen jung und glücklich aus. In die Freude mischt sich Wehmut. Es geht zu Ende. Dieser Teil des Lebens stirbt.
    Treffpunkt ist immer wieder die Kathedrale, in der täglich mehrere Gottesdienste stattfinden. Ich bin gerne dabei. Fühle mich wohl und zugehörig. Verstehe nicht, was da vorne gesagt wird, und bin froh darüber. So kann ich mit meinen eigenen Gedanken allein bleiben, in denen die Reizworte Schuld, Sünde und Kreuz nicht Vorkommen. Auch wenn ich nicht den Glauben habe, der hier gelebt wird, hier darf ich sein.
    Es war ein großes Dilemma meines Lebens, dass ich so oft Rollen und Plätze innerhalb einer Gruppe angestrebt habe, die bereits durch andere besetzt waren. Es ist wichtig, das Eigene im Leben zu finden, da, wo man sich innen und außen zu Hause fühlen kann. Es gilt, das Eigene und Unverwechselbare zu erkennen und zu leben. Hier in Santiago, in dieser Kathedrale, bin ich zu Hause, hier darf ich sein. Nicht nur, weil ich den äußeren Weg gegangen bin.
    Es ist so feierlich, anrührend und schön

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