Der Weihnachtspullover
Darin befanden sich eine von Hand geschriebene Karte und eine Tafel Schokolade. ›Frohe Weihnachten, Mutter‹, las sie laut. ›Du bist so süß wie diese Schokolade.‹ Sie lachte. »Eddie, hast du die allein gekauft?«
»Ja«, erwiderte ich stolz. »Ich dachte, du könntest sie essen oder damit Plätzchen backen.«
»Weißt du, was Baker’s Schokolade ist?«
»Schokolade, mit der man backen kann, richtig?«, erwiderte ich. Mom lächelte bei dem Gedanken daran, wie gern ich Plätzchen aß und doch offenbar überhaupt nicht zugehört hatte, wenn mein Vater mir erklären wollte, wie man sie backte. Denn dann hätte ich gewusst, dass Baker’s Schokolade alles andere als süß war.
»Ja, das schon, mein Schatz, aber sie ist nicht sehr –« Sie verstummte und lächelte mich an, als hätte ich ihr das beste Weihnachtsgeschenk gemacht, dass sie jemals bekommen hatte. »Du bist wirklich ein toller Junge – entschuldige, ich wollte natürlich sagen, ein toller junger Mann. Das war sehr lieb von dir.« Dann öffnete sie die Tafel und aß grinsend ein Stück davon, wobei sie die Augen ein wenig zusammenkniff. »Das ist wirklich die beste Schokolade, die ich je gegessen habe.«
Sie kam zu mir herüber und schloss mich in ihre Arme. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor.
»Bin ich jetzt dran?«, fragte ich unruhig.
»Ja, jetzt bist du dran, mein Schatz.«
Ich öffnete zuerst die Päckchen, die ich ja bereits schon einmal geöffnet hatte, und gab mein Bestes, überrascht zu tun, als ich jedes Geschenk in die Höhe hielt, um es Mom zu zeigen: selbstgenähte Fausthandschuhe von meiner Kusine, ein Baseball von einem Onkel, den ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, und eine Tüte mit Bonbons, dieeine verdächtige Ähnlichkeit mit dem gestreiften Zeug hatten, das ich schon im Vorjahr nicht gegessen hatte. Ich fragte mich, ob Mom mir nicht womöglich seit meinem vierten Lebensjahr immer wieder dieselbe Tüte unter den Weihnachtsbaum legte.
Und dann endlich war es so weit. Es war nur noch ein einziges Päckchen übrig. Es handelte sich um ein ziemlich großes Päckchen, das aber sehr leicht war. Bitte, lieber Gott, lass es ein Polaroidfoto sein, dachte ich bei mir, oder auch nur ein handgeschriebener Zettel oder eine Karte . Ich konnte es selbst kaum glauben, dass ich mir tatsächlich wünschte, keine Airsoftgun und keinen Satz Walkie-Talkies darin vorzufinden, aber das Huffy war nun einmal das einzige Geschenk, an das ich dachte. Es war das einzige Geschenk, das mich glücklich machen würde.
Mom hatte das Päckchen mit einer großen Schleife und einem Band geschmückt, das mir bekannt vorkam, weil ich es schon einmal von meinem Geburtstagsgeschenk abgestreift hatte. Ich arbeitete mich durch Rentier-und-Schneeflocken-Weihnachtspapier hindurch, bis eine schlichte, einfache, braune Schachtel zum Vorschein kam. Mein Herz begann wie wild zu schlagen, als ich langsam den Deckel in die Höhe hob und das zerknitterte weiße Seidenpapier beiseiteschob.
Es war ein Pullover.
»Gefällt er dir?«, fragte Mom, während ich auf das Geschenkherabstarrte und kein Wort herausbrachte. Sie veränderte ihre Sitzposition auf dem Sofa und verschränkte ihre Arme vor der Brust, während sie mehrere Sekunden auf eine Antwort wartete.
Ich setzte meine allerletzte Hoffnung darauf, dass in dem Pullover irgendetwas versteckt sein könnte, das mir einen Hinweis auf das Fahrrad geben würde, und faltete den Pullover auseinander. Ich schüttelte ihn so fest es nur ging, ohne meine Intention dabei allzu offenkundig zu machen, aber nichts geschah. Da wurde mir endlich klar, dass es in diesem Jahr kein Fahrrad geben würde – bloß einen blöden, selbstgestrickten, hässlichen Pullover.
»Gefällt er dir? Gefällt er dir wirklich?« Mom schien offenbar zu hoffen, dass es mir vor Freude die Stimme verschlagen hatte.
Bloß ein blöder, selbstgestrickter, hässlicher Pullover. Kein Fahrrad.
»Klar, Mom, der ist prima.« Mir war zum Heulen zumute. Ich hatte ein Recht darauf, zu weinen, wie ich fand, aber es war nicht die Art von Traurigkeit, bei der Tränen kamen. Wenn ich mich nicht das ganze Jahr über so angestrengt hätte, wenn ich nicht in jeder wachen Sekunde meines Lebens an dieses neue Fahrrad gedacht hätte, wenn ich Gott nicht versprochen hätte, dass ich es mir verdienen würde, dann hätte ich vielleicht gar nicht bemerkt, dass die Farbe der Wolle perfekt zu den Wonder-Bread-Pünktchenauf meinen Brottüten-Stiefeln passten. Aber da ich
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