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Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)

Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)

Titel: Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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viel. Er freute sich, dass er keinen Wagen sah. Vielleicht war David mit seinen fünf Jahren auch schon zu alt dafür? Sollte er fragen, oder wäre das zu plump?
    Das Essen war noch nicht fertig. Er wurde gebeten, Platz zu nehmen.
    »Warum spielst du nicht mit mir?« Helena guckte ihn erwartungsvoll an. »David liest ein Buch.«
    »Helena!«, schalt Olivia sie. »Der Leutnant hat den gan zen Tag gearbeitet. Er ist müde.«
    In Helenas Gesicht machte sich Enttäuschung breit.
    »Ich spiele gerne mit dir«, sagte Narraway schnell. »Was möchtest du denn am liebsten spielen?«
    Ein strahlendes Lächeln belohnte ihn. »Verstecken«, sagte sie sofort.
    »Helena …«, fing ihre Mutter an, aber Helena war schon dabei wegzurennen. Sie kicherte vor Aufregung.
    Narraway stand auf. »Wo überall kann ich nach ihr suchen?«, fragte er ruhig. »Ich will sie ja nicht gleich finden. Bitte, sagen Sie mir, wo ich anfangen soll.«
    Olivia lachte und zuckte leicht mit den Achseln. »Überall in dieser Haushälfte. Sie können ’s ja erst mal hinter allen Türen probieren oder in Schränken. Da versteckt sie sich eher selten.«
    »Danke.« Unsicher ging er los. In diesem Haus war er Gast. Es war das Haus einer Frau, voller persönlicher Dinge, voller Gegenstände der Familie. Es wäre unverzeihlich, zu weit einzudringen. Zunächst bewegte er sich ganz leise, vorsichtig, aber dann dachte er, dass Helena keinen Spaß hätte, wenn sie nicht hören konnte, wie er ratlos weitersuchte und sie einfach nicht fand.
    »Ich find dich schon!«, rief er. Er ging in den Eingangsbereich. »Du bist bestimmt im Garderobenschrank.« Er machte die Tür auf und war erleichtert, dass er nur Mäntel und Umhänge sah. Er machte ihn wieder zu und bemerkte einen Schuhschrank. »Bist du vielleicht da drin? Ist ja eigentlich zu klein, aber wer weiß?« Er öffnete ihn, seufzte und machte ihn wieder zu. »Nichts. Wo kannst du nur sein?«
    Er setzte die Suche fort und gab immer seine Kommentare ab. Er ging von einem Zimmer ins nächste und fand sie immer noch nicht. Am Schluss blieb nur noch ein Raum übrig, eindeutig ihr Schlafzimmer. Er öffnete die Tür ganz zaghaft. Er wollte nicht stören.
    »Hier kann sie auch nicht sein«, sagte er laut. »Es ist ja noch nicht Zeit zum Schlafen.« Er sah sich um. Das Bettchen war ordentlich gemacht, bis auf eine Tagesdecke, die auf den Boden gerutscht war. Hier war sie auch nicht. Er war ratlos. Er dachte, dass er überall nachgeschaut hätte, außer in den beiden anderen Schlafzimmern, in dem von Olivia und in dem, wo David ein Buch las.
    »Ich gebe auf!«, sagte er in dramatischem Tonfall. »Sie ist nicht mehr da!«
    Unter der Decke kam ein Kichern hervor, und ganz langsam wand sich, ohne dass sich die Form der Decke veränderte, ein zerzaustes kleines Mädchen heraus. Vor Freude über ihren Sieg strahlte sie über das ganze Gesicht.
    »Gewonnen!«, rief sie glücklich aus. »Du hast mich nicht gefunden! Ich habe Hunger. Kommst du mit zum Essen?« Hüpfend ging sie voraus.
    Narraway folgte ihr ins Esszimmer und nahm gegenüber David, der schon am Tisch saß, Platz. Er war mit in der Runde, fühlte sich aber nicht ganz wohl in seiner Haut. Er freute sich, dass er willkommen war, aber ihm war auch bewusst, dass er auf dem Platz eines anderen Mannes saß. Ein Teil der warmen Atmosphäre wirkte vorgetäuscht, um allen eine kurze Zeit lang das Gefühl von Behaglichkeit zu geben. Es war ein Spiel, das für ein paar Stunden die Realität beiseiteschob.
    Sie unterhielten sich über andere Zeiten und andere Or te, nicht über Indien. Über alles, nur nicht die Gegenwart. Über Weihnachten, das Hoffnung für alle diejenigen versprach, die den Mut hatten, seine Botschaft zu akzeptieren und daran zu glauben.
    Als das Hausmädchen kam, um David und Helena ins Bett zu bringen, und alle Gute Nacht gesagt hatten, blieb Narraway noch ein bisschen in der Stille des Raums sitzen. Jetzt war es an der Zeit, das Spiel zu beenden. Er sah, wie müde Olivia war, wie anstrengend es für sie war, den Schmerz vor den Kindern zu verbergen, sodass sie nicht merkten, dass alles anders geworden war. Überall um sie herum wütete der Krieg, aber die Kinder hatten keine Angst, weil sie vor den Kindern ihre Angst nicht zeigte.
    Plötzlich kamen ihm seine Sorgen nichtig vor, sie würden vorübergehen.
    »Danke«, sagte er aufrichtig. »Sie haben mich daran erinnert, was wirklich zählt, und daran, dass der Preis dafür oft hoch ist.«
    Sie blickte ihn

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