Der Weihnachtswunsch
heute Nacht können da sechzig bis neunzig Zentimeter Neuschnee fallen.«
»Wann setzt er ein?«
»Am späten Nachmittag, voraussichtlich nach der Rushhour. Brauchen Sie noch etwas?«
»Rufen Sie Lincoln an, und sagen Sie ihm, er soll die Unterlagen für das Allen-Anwesen vorbereiten.«
»Das werde ich. Ein schönes Wochenende.«
»Danke gleichfalls.«
Kier ging durch die Hintertür zu seinem Auto. Er startete und drehte die Stereo-Anlage auf. Eine CD von Michael Bublé lief an, die Traci ihm geschenkt hatte.
Kier grinste, als er an das Allen-Anwesen dachte. Es war ein Vermögen wert. Er fuhr vom Parkplatz in Richtung Park City.
Achtes Kapitel
Der Sturm brach bereits los, als Kier noch seinen Arctic White BMW durch einen Canyon vor Park City steuerte. Die Scheibenwischer flogen rasend schnell hin und her, um dem Schneefall standzuhalten. Zu beiden Seiten ragten die zerfurchten, mit Schnee und Eis bedeckten Wände der Schlucht empor. Der Verkehr hatte sich auf Schritttempo verlangsamt, und die zugeschneiten Wagen krochen vor sich hin wie eine Herde mobiler Iglus. Es ärgerte Kier, dass Sara ihm nicht aus dem Kopf ging. Wie sie ausgesehen hatte. Ihr Schwächeanfall. Ihre letzten Worte an ihn: Ich bin nicht mehr dein Problem. Ihm wurde klar, dass er sich nie wirklich der Realität gestellt hatte, dass sie bald sterben würde.
Weihnachten hätten sie ihren silbernen Hochzeitstag gehabt – ein Vierteljahrhundert. Kier hatte kaum Erfahrung mit dem Tod. Seine Mutter war gestorben, als er zwei Jahre alt gewesen war. Er konnte sich an ihr Hinscheiden nicht mehr erinnern. Sein Vater war vor sechs Jahren gestorben, aber sie hatten seit Jahren nicht mehr miteinander gesprochen, und er war noch nicht einmal zur Beerdigung gegangen. Aber mit Sara war es anders. Er fragte sich, wie lange sie schon aufgegeben hatte und welche Wirkung ihr Tod auf ihn haben würde.
Er trank einen Schluck aus der Wasserflasche und stellte sie auf den Sitz neben sich. Er konnte nicht begreifen, warum Sara ihre Scheidung so lange herausgezögert hatte. Der Grund war eindeutig nicht das Geld. Sie hatte erheblich weniger verlangt, als ihr zustand, und das wussten sie beide. Er wunderte sich noch immer darüber, als er die Abfahrt Park City erreichte. Weitere zehn Minuten später fuhr er von der Schnellstraße hinunter zum Snowed Inn. Traci würde in ein paar Stunden eintreffen. Um Sara konnte er sich später sorgen.
Neuntes Kapitel
Das Snowed Inn war ein stattlicher viktorianischer Bau mit drei großen Giebeln, die sich über einer Vorderveranda erhoben. Weiße Weihnachtslichter zogen die Linien des Gebäudes nach und erzeugten einen hellen Schein in dem fahlen Schneetreiben. Die Stützpfeiler der Veranda waren mit breiten roten Bändern dekoriert und wirkten wie gigantische Pfefferminzstäbchen. Die beiden Eingangstüren waren mit Piniengirlanden geschmückt, die mit silbernen und roten Kugeln bestückt waren.
Kier parkte sein Auto. Als er nach seinem Handy griff, das auf dem Beifahrersitz lag, fasste er in eine Wasserlache. Er hob das tropfende Telefon hoch. Das Display zeigte nichts an. Kier betätigte die Tastatur, aber nichts geschah. Verärgert warf er das Gerät auf den Wagenboden. Dann stieg er aus, holte seine kleine Sporttasche aus dem Kofferraum und stieg die Stufen hinauf, die in das Gasthaus führten.
Das Snowed Inn war Ende des 19. Jahrhunderts ursprünglich als Wohnhaus von Clayton Daly, einem erfolgreichen Silberschürfer und Miteigner der Daly-West-Silbermine, erbaut worden. Nachdem Daly bei einer Explosion in der Mine getötet wurde, versuchte seine Frau, den Lebensunterhalt ihrer Familie zu sichern, indem sie das Haus in eine Pension umwandelte. Durch den Ersten Weltkrieg fiel der Silberpreis jedoch innerhalb weniger Jahre, und die Schürfer verließen den Ort, sodass es Teil einer Geisterstadt wurde. Als Bauunternehmer die Stadt in den späten 60er Jahren neu entdeckten, wurde das alte Gebäude als Frühstückspension wiederbelebt und lief seither gut.
Gleich hinter der Tür, unter einer Daguerreotypie von Clayton Daly, befand sich ein sichelförmiger Walnusstresen. Hinter ihm stand ein stattlicher Mann mit silbrigem Haar. Er trug ein rotes Flanellhemd und eine braune Cordhose mit blauen Hosenträgern. Er lächelte, als Kier eintrat. »Guten Tag, Sir. Willkommen im Snowed Inn.«
Kier, der sich noch wegen seines demolierten Handys ärgerte, war nicht in der Stimmung, Höflichkeiten auszutauschen. »Ich habe eine
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