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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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ich es verhindern kann.«
    »Heuchler«, sagte Francis fast unhörbar.
    »Ja«, antwortete Mool mit einem wehmütigen Lächeln. »Aber ein harmloser Heuchler – und nicht mehr so dogmatisch wie in früheren Tagen.«
    »Nicht einmal eine kleine Statue?« rief eine heisere Stimme von der Galerie herab. Tez schlenderte eine Treppe herunter, die linke Hand streifte über die Rückenlehnen der Sessel, die rechte umklammerte ein gleißendes Gerät. »Man sollte ihn zumindest in Form eines Türpuffers verewigen – oder als Briefbeschwerer.« Mit katzenhafter Geschmeidigkeit sprang sie über das Geländer, landete zwei Meter tiefer auf dem Boden des Saals. »Es war doch wirklich genial, unsere besten Bürger mit Gallenschleim vollzupumpen und in den Krieg zu führen.« Sie hob die rechte Hand. Francis würgte, als er die obszöne Spritze sah, von glänzendem Noctus verdunkelt.
    »Wirf das Ding weg!« schrie er.
    »Bald, Liebster.« Ihre Lippen teilten sich, entblößten die Zähne. »Ich war im Tolca-Tempel, und es wäre ein Skandal, einen so lustvollen Traum zu vergeuden.« Sie zeigte auf den Zylinder derSpritze. »Du bist da drin, Francis. Schau genau hin, dann erkennst du dich, wie du gestehst, eine heimliche Injektion verabreicht zu haben. Diesmal werdet ihr meinen Zorn nicht überleben.«
    Sie riß an ihrem Ärmel, und er fiel von ihr ab wie Fleisch von einem Knochen. Ungläubig und reglos starrten die Männer sie an, während die Nadel durch die Haut stach. »Der Anfang ist immer am schönsten.«
    »Nein!«
    Aber der Kolben drang bereits ein, schob den Burggraben in ihren Körper. Dann zog sie die Spritze heraus, leckte die Nadel ab. »Nimm mir das nur ja nicht weg! Es tut so gut…«
    Sie spannte den Deltamuskel an, der durchlöchert war wie eine Brause. Als sie den neuen Einstich berührte, bildete sich ein grüner Rand darum.
    Mool wich zitternd zurück. »Was wird sie jetzt tun?«
    »Ich glaube, sie will Sie töten.« Francis sog die Luft zwischen den Zähnen ein. »Gehen Sie lieber…«
    Aber Tez stand bereits neben dem Instrumentenwagen. Sie wählte ein schönes Obsidianskalpell aus. Francis erschauerte. Er hatte dieses Messer schon einmal gesehen – in jener Nacht, als er sich in den Tempel geschlichen hatte. Er hatte gesehen, wie sie es benutzte…
    Tez ging zum Angriff über. Ein Stich, ein verblüffter Schrei – und Mool taumelte zurück. Der Schnitt in seiner Seite war nicht tief – und noch nicht schmerzhaft. »Lostwax! Können Sie sie nicht zurückhalten?«
    Ich werde es versuchen, dachte Francis und rannte zu der Flötistin. Eine verrückte Idee nahm in seinem Kopf Gestalt an. Er sah, daß Tez zum Instrumentenwagen zurückgekehrt war.
    »Warum verteidigen Sie sich nicht?« fuhr sie Mool an. »Eine Säge ist eine viel bessere Waffe als ein Messer.«
    Sie sprang wieder vor, zielte mit ihrem Skalpell auf seinen Hals, doch da blieb ihre Robe an einer Ecke des Operationstisches hängen. Die Spritze entglitt ihrer Hand, fiel zu Boden, zerbrach in hundert Scherben, während sich das Messer, von seinem ursprünglichen Ziel abgelenkt, tief in Mools Schulter bohrte. Es blieb in ihrer Hand, und Mool verlor blutend und stöhnend seine letzte Hoffnung und das Gleichgewicht.
    Tez kniete nieder, beide Hände um den Griff – in der Haltung einer Priesterin, die ein Opfer darbringt. Mool wand sich wie ein halbzertretener Wurm. Die Klinge schwang hoch zum Glasgewölbe.
    Es krachte.
    Die Klinge glitt nach unten – nicht schnell, nicht gezielt, sondern in einem armseligen, schwachen Zittern, das am Steinboden endete. Tez sank nach vorn und lag still. Francis hob die verbogene Flöte auf. Blut umgab das Mundstück. »Ich bringe sie aufs Schiff«, sagte er unglücklich. »Helfen Sie mir, Huaca.« Er blickte zum Torbogen, dann sah er sich im ganzen Raum um. Huaca war verschwunden.
    Die Flötistin und der Krankenpfleger beugten sich geschäftig über Mool, verarzteten seine Wunden. Er scheuchte sie beiseite und erhob sich mühsam. »Wird dies das Ende sein?«
    »Ein ungewöhnlicher Fall«, meinte Francis.
    Wimmernd kehrte Tez ins Bewußtsein zurück. Auf Francis’ Order hin goß ihr die Flötistin ein flüssiges Sedativum in den Hals. Sofort wurde sie von einem Schlaf übermannt, der laut der Aufschrift auf dem Flaschenetikett zehn Stunden dauern würde. Francis bezweifelte, daß das Beruhigungsmittel auf eine Noctus-Süchtige die gewünschte Wirkung haben würde, und fesselte ihr die Hände und Füße mit

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